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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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einer Schlafkur bewältigen. Am Gate A11 blieb Nathalie stehen und reichte Ivy ihre dunkelgrüne Reisetasche, deren Reißverschluss kaputt war. »Ivy-Schatz, soll ich dir mal eine neue besorgen?«
    »Nein, danke.«
    »Du hättest doch etwas sagen können. Dann hätten Peer und ich dir nicht dieses marokkanische Kochbuch geschenkt, das du jetzt auch noch mit dir herumschleppen musst.«
    »Wozu? Die nächsten neun Monate bleib ich zu Hause und arbeite. Da brauche ich keine Reisetasche.«
    »Wie? Und was ist mit Ostern?«
    »Da mache ich eine Schlafkur.«
    »Eine was?« Nathalie nestelte unwillig an ihrem Perlenohrring herum.
    »Eine Schlafkur. Da schläft man mehrere Tage und Nächte durch.«
    «Ja, aber Ivy! Letztes Jahr war es doch so lustig, wie du mit Lucy zusammen die Ostereier gesucht hast. Weißt du noch, wie du …«
    »Vergiss es, Natti.«
    »Außerdem will Papa, dass wir mal Mamas Sachen durchgucken.« Nathalie schüttelte ihre langen Locken zurück, um sie am Hinterkopf lose mit einer breiten Spange festzustecken. »Als wir am Wochenende bei ihm waren, hatte er schon sämtliche ihrer Zeichenmappen vom Dachboden geholt und wollte wissen, ob wir davon etwas aufheben wollen. Ich fänd’s gut, wenn du dich mal ein bisschen mit einbringen würdest. Bitte! Ihre Kleider wollte er nämlich auch schon …«
    Ivy gab ihrer Schwester einen Kuss auf die Wange. Und wehrte mit aller Macht das Bild ab, wie sie zwischen alten Kisten Hinterlassenschaften ihrer Mutter sortierte, die für sie nie gestorben war. Sie wollte keine Trauernde sein.
    »Danke für alles. Auch, dass du dich so um Papa kümmerst. Das finde ich wirklich toll, hab ich gestern gedacht. Wirklich. Du hast dein Leben fest im Griff.«
    Nathalie blickte ihre kleine Schwester hilflos an. Was in Gottes Namen war mit ihr los? Ihre großen grünen Augen schossen ruhelos durch die Flughafenhalle, blieben einen Augenblick an dem Illy-Espressostand hängen, sausten dann weiter ins Nirgendwo. Ivys Wangen waren eingefallen, ihre hellblonden Haare zu einem unordentlichen Pferdeschwanz gebunden. Ihre Bluse war ungebügelt, ihr buntes Halstuch hatte ein paar rote Flecken vorne drauf. »Ist das da etwa Tomatensoße?«
    Ivy blickte an sich herunter und hob das Halstuch leicht an. »Scheint so.«
    Ihre Jeans hatte ein Loch am Knie; und dass sie zu dieser Jahreszeit noch immer ihre alten Prada-Sandalen trug, war komplett besorgniserregend. Wieso konnte Ivy denn nicht wie jeder normale Mensch eine Familie gründen? Nathalie war doch auch das Wagnis eingegangen, sich mit Peer zu verbinden und ihn zu lieben, bis dass der Tod sie scheidet. Sie lächelte: »Wie läuft’s eigentlich bei Madame Tussauds? Ich meine, wir sind ja gar nicht zum Erzählen gekommen.«
    »Normal. Sollte ich nicht abstürzen, fange ich morgen mit Vincent van Gogh an. Dem alten hat ja irgendein Besucher vor ein paar Wochen das Ohr abgeschlagen. Frag mich nicht, wie. Dafür brauchst du richtiges Profiwerkzeug. Mit einem Hammer kommst du da nicht weit.«
    »Warum hast du denn nichts gesagt? Ich hätte mich gefreut, wenn ich dir ein bisschen hätte helfen können. Recherchematerial aus dem Netz zusammensuchen. Oder mit dir überlegen, was er für ein Mensch gewesen sein könnte. Das hätte mir großen Spaß …«
    Ivy nahm ihre Tasche hoch und hängte sie sich über die Schulter. »Danke, aber ich brauche keine Hilfe beim Modellieren. Das bekomme ich noch ganz gut alleine hin.«
    »Aber«, Nathalie machte einem vorbeihetzenden Reisenden Platz, »warum kannst du ihm denn nicht einfach ein neues Ohr anfertigen?« Sie schien beunruhigt.
    »Weil Fortier will, dass ich einen neuen modelliere.«
    »Der ist doch schon so lange tot.«
    Gleich würde Ivy tot sein. Abgestürzt. Das war ein weitaus größeres Problem, als dass sie Vincent van Gogh noch einmal neu modellieren musste. Um ehrlich zu sein, war ihr diese Tatsache vollkommen egal. Durchdringend sah sie ihre Schwester an. »Meinst du, die Maschine stürzt ab?«
    Das war so ein Tod, der gut zu ihr passte. Sie war zu einer Frau geworden, die in Kaugummis trat, mit dem Flugzeug abstürzte und die vergeblich darauf hoffte, dass das Leben endlich auch für sie weiterging. Dabei hatte alles so verheißungsvoll begonnen. Ivy hatte ihr Kunststudium mit einem Master abgeschlossen, war bei jeder Party dabei gewesen, bis das Licht anging, und hatte diese beneidenswerte Unerschütterlichkeit besessen, die ausschließlich Menschen innewohnte, die über ihren Platz in der
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