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Leichte Turbulenzen - Roman

Leichte Turbulenzen - Roman

Titel: Leichte Turbulenzen - Roman
Autoren: C. Bertelsmann
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Mailbox zu sprechen. »Ivy-Schatz! Hallo! Wir stehen hier unten, und siehst du! Dein Flieger ist noch immer am Himmel. Juhu! Schön, dass du da warst, und geh doch mal mit Mister Fortier ins Theater oder mit Willem in dieses Museum, in dem wir das letzte Mal waren, als wir dich im Mai besucht haben, da, wo diese weißen Marmorstatuen standen und die riesigen aus Elfenbein geschnitzten Säulen der alten Mayas, wo Lucy in der Kinderecke mit Kartoffelstempeln Servietten bedruckt hat, mir fällt der Name gerade nicht ein – und was ich dich noch fragen wollte: Hat man diesen Mann eigentlich gefasst, der Vincent van Gogh das Ohr abgeschlagen hat? Die Vorstellung, dass sich ein Irrer in deiner Nähe …«
    Ivys Tasche lag oben in der Gepäckablage, in der die Mailbox ihres Handys Nathalies gesammelte Sorgen aufnahm. Die Leute lasen Zeitung, schauten mit gerunzelter Stirn aus den kleinen Fenstern oder schliefen. Gleich würde diese irrwitzige Sache ihr Ende finden. Kam eigentlich vorher noch eine informative Durchsage, bevor ein Flugzeug abstürzte? Oder passierte das unvermittelt? Der Mann neben ihr strich sich seine Jeans an den Oberschenkeln glatt. Wenn Ivy wenigstens seinen Namen gewusst hätte. Für ihn schien das Fliegen kein Problem. Das merkte sie daran, dass er schon wieder interessiert aus dem Fenster auf das erleuchtete Berlin blickte. Am liebsten hätte sie ihn gebeten, die Luke zu schließen. Wären sie ein Paar gewesen, hätte sie mit Sicherheit gefragt, ob er vielleicht etwas unsensibel sei. In jedem Fall sah er aus wie ein Amerikaner. Wie einer, der als Teenager Baseball gespielt hatte. Absolut durchschnittlich. Harmlos. Konventionell.
    Mit aufgerissenen Augen blickte Ivy den langen Gang zwischen den Sitzreihen hinunter. Ihre kalten Hände lagen erst in ihrem Schoss, jetzt wieder um die Armlehnen. Der Mann trug einen grauen Wollpullover, darunter ein kleinkariertes Hemd. Seine breiten Schultern, die muskulöse Brust waren aber auch ein Zeichen dafür – das musste Ivy zugeben –, dass er im Sonnenuntergang Holz hacken konnte und in Gummistiefeln zum Pferdestall ging, um frisches Stroh in die Boxen zu füllen. So einen hatten Natti und sie sich früher immer als zukünftigen Ehemann vorgestellt. Was völlig egal war, weil sie alle sterben würden. Es wackelte und holperte, die Röhre schoss steil in den Himmel, durch die Wolkendecke. Alle Turbinen würden ausfallen, und die Schubumkehr würde sich mit einem Ruck anschalten, ohne Chance auf eine Notlandung. Und bis sie unten ankamen, würden sie alle miteinander entsetzt aus der Wäsche gucken. Ivy starrte an dem Mann vorbei aus dem Fenster. Draußen stießen sie durch dichte neblige Wolken. Hätte Nathalie neben ihr gesessen, hätte sie Ivy ständig mit dem Ellbogen angestubst und aufgeregt auf den »knackigen Typen« am Fenster hingewiesen. »Wäre der nicht was für dich?«
    Irgendwann, wenn die Anschnallzeichen über ihnen erloschen wären, hätte sie ihn höflich angelächelt. »Und? Fliegen Sie nach Hause?«
    Und er hätte gesagt: »Nein, zu Freunden.«
    Nathalie hätte Ivy voller Begeisterung angesehen und geflüstert: »Hast du gehört? Er besucht Freunde in London. Ist das nicht toll?!«
    Ivy hätte gesagt: »Na und? Heißt das jetzt, er passt perfekt zu mir?«

2.
    Der Mann, Desmond Gayle, kam aus North Carolina, er war Einzelkind, seine Eltern pensionierte Soziologie-Professoren an der Greensboro University. Seine Mutter stammte aus Deutschland, er kam gerade von einem Besuch bei seiner dreiundachtzigjährigen Tante, wohnte aber vorübergehend in Brüssel, wo er die letzten Wochen in einer Maisonettewohnung in der Rue des Sablons, über dem Pain Quotidien, von morgens bis abends auf iTunes die Filmtrailer all jener Blockbuster angesehen hatte, die der Filmkomponist Hans Zimmer vertont hatte. Seine Markenzeichen, die drängenden afrikanischen Trommeln, das Klirren der Schwerter, die schweren Rüstungen, hatten Desmond regelrecht aufgepeitscht, sein Blut zum Kochen gebracht, seine Atemfrequenz erhöht, auf der Suche nach Konfrontation und Kräftemessen im Nahkampf. Jetzt flog er nach London, zu seinen drei besten Freunden, die in Kensington lebten und als Banker arbeiteten. Ende November würde er nach New York gehen, um dort ein paar Wochen bei seinem ehemaligen Mitbewohner Eric zu wohnen, bis er in Los Angeles als Filmkomponist Fuß fassen wollte. Eigentlich hatte er nie wieder nach New York zurückkehren wollen, nachdem er miterlebt hatte, wie
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