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Leichenraub

Leichenraub

Titel: Leichenraub
Autoren: Tess Gerritsen
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wünschte nur, du hättest mich angerufen, bevor du so eine schwerwiegende Entscheidung triffst.«
    »Es ist gar nicht so schlecht«, beharrte Julia. »Das Grundstück hat viertausend Quadratmeter. Und es ist nahe an der Stadt.«
    »Und im Garten ist eine Leiche vergraben. Das wird den Wiederverkaufswert sicher wahnsinnig heben.«
    Julia massierte sich den Nacken, der plötzlich ganz verspannt war. Vicky hatte recht. Vicky hatte immer recht. Ich habe meine ganzen Ersparnisse in dieses Haus gesteckt, dachte Julia, und jetzt bin ich stolze Besitzerin eines Anwesens, auf dem ein Fluch liegt. Durch das Fenster sah sie wieder einen Neuankömmling im Garten eintreffen. Es war eine ältere Frau mit kurzen grauen Haaren, bekleidet mit Bluejeans und schweren Arbeitsstiefeln – nicht gerade das Outfit, das man bei so einem großmütterlichen Typ erwarten würde. Noch so eine schräge Gestalt, die an diesem Tag in ihrem Garten herumspazierte. Wer waren diese Leute, die herbeiströmten,
sobald irgendwo eine Leiche gefunden wurde? Warum hatten sie sich für einen Beruf entschieden, der sie tagtäglich mit dem Tod konfrontierte – mit Dingen, die den meisten Menschen schon Gänsehaut verursachten, wenn sie nur daran dachten?
    »Hast du mit Richard gesprochen, bevor du es gekauft hast?«
    Julia erstarrte. »Nein, ich habe nicht mit ihm gesprochen.«
    »Hast du überhaupt mal von ihm gehört in letzter Zeit?«, fragte Vicky. Ihr veränderter Tonfall – plötzlich ganz leise, fast zögerlich – brachte Julia endlich doch dazu, sich zu ihrer Schwester umzudrehen.
    »Warum fragst du?«
    »Du warst schließlich mit ihm verheiratet. Rufst du ihn denn nicht ab und zu an, einfach nur, um zu fragen, ob er deine Post weiterleitet oder so was in der Art?«
    Julia trat an den Tisch und ließ sich auf einen Stuhl sinken. »Ich rufe ihn nicht an. Und er ruft mich nicht an.«
    Einen Moment lang saß Vicky nur schweigend da, während Julia den Blick stoisch gesenkt hielt. »Es tut mir ja so leid«, sagte sie schließlich. »Ich wusste doch nicht, dass es dir immer noch so wehtut.«
    Julia lachte auf. »Tja nun, mir tut es auch leid.«
    »Es ist jetzt ein halbes Jahr her. Ich dachte, du wärst inzwischen über die Trennung hinweg. Du bist intelligent, du siehst super aus – eigentlich solltest du längst wieder im Geschäft sein.«
    Typisch Vicky, so eine Bemerkung. Die unverwüstliche Vicky, die gerade mal fünf Tage nach ihrer Blinddarmoperation wieder im Gerichtssaal aufgekreuzt war und ihr Anwaltsteam zum Sieg geführt hatte. Von so einem kleinen Rückschlag wie einer Scheidung würde sie sich nicht einmal eine Woche lang aus dem Konzept bringen lassen.
    Vicky seufzte. »Um ehrlich zu sein, ich bin nicht den ganzen Weg hierhergefahren, nur um das neue Haus zu sehen. Du bist meine kleine Schwester, und es gibt da etwas, was du
wissen solltest. Du hast ein Recht, es zu erfahren. Ich weiß nur nicht recht, wie …« Sie brach ab und blickte zur Küchentür, an der es gerade geklopft hatte.
    Julia öffnete die Tür und erblickte Dr. Isles, die trotz der Hitze immer noch kühl und beherrscht wirkte. »Ich wollte Ihnen nur Bescheid sagen, dass mein Team heute abziehen wird«, sagte Maura Isles.
    Julia warf einen Blick auf die Grabungsstätte und sah, dass die Mitarbeiter schon ihre Werkzeuge einpackten. »Sie sind hier fertig?«
    »Wir haben genug gefunden, um sagen zu können, dass dies kein Fall für die Rechtsmedizin ist. Ich habe ihn an Dr. Petrie aus Harvard weitergegeben.« Isles deutete auf die Frau, die gerade eingetroffen war – das Großmütterchen in Bluejeans.
    Vicky trat zu ihnen an die Tür. »Wer ist Dr. Petrie?«
    »Sie ist forensische Anthropologin. Sie wird die Grabung abschließen, zu rein wissenschaftlichen Zwecken. Falls Sie nichts dagegen haben, Ms. Hamill.«
    »Die Knochen sind also alt?«
    »Es handelt sich eindeutig nicht um ein Begräbnis aus der jüngeren Vergangenheit. Warum kommen Sie nicht einfach mit nach draußen und sehen es sich an?«
    Maura Isles trat hinaus in den Garten, und Vicky und Julia gingen mit ihr den Hang hinunter. Nach drei Tagen Graben war aus dem Loch eine gähnende Grube geworden. Die Gebeine waren auf einer Plane ausgebreitet.
    Obwohl Dr. Petrie mindestens sechzig sein musste, sprang sie behände aus der Hocke auf und trat näher, um ihnen die Hand zu geben. »Sie sind die Hausbesitzerin?«, fragte sie Julia.
    »Ich habe das Anwesen erst vor Kurzem gekauft. Letzte Woche bin ich
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