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Leibhaftig

Leibhaftig

Titel: Leibhaftig
Autoren: Christa Wolf
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mußt du widersprechen, ich muß beharren, dann merken wir, daß wir anfangen wollen, uns zu streiten, müssen lachen und finden, deutlicher könnte ich nicht zeigen, daß meine Gesundheit zurückkehre.
    Am nächsten Tag kommt, unangemeldet, der Pathologe. Sie ist auf seinen Besuch nicht vorbereitet, aber ablehnen kann sie ihn natürlich nicht. Wieso denn auch. Eine Art Höflichkeitsbesuch, so wie er auftritt. Geschniegelt und gebügelt unter dem makellos weißen Kittel, den er offen trägt. Krawatte in Silber. Schlank, wenn nicht dünn, eine magere Hand, die er ihr entgegenstreckt. Ein kalter lebloser Händedruck. Nun, sagt er mit leicht rasselnder Stimme, der Abgesandte aus der Unterwelt, und wartet, daß sie lacht. Er lacht nicht. Sie sei ja, sagt sie, in dem Kellersystem des öfteren an demSchild mit dem weißen Pfeil zur Pathologie vorbeigeschoben worden. Vorbei, sagt er. Das ist gut. Das ist sehr gut. Nun lächelt er, dieses Lächeln sähe sie lieber nicht. Hohle Wangen, die mindestens zweimal am Tag rasiert werden müssen und ihren bläulichen Schimmer trotzdem nicht loswerden, ein peinlich genau geschnittenes tiefschwarzes Haarfell, dessen Spitze weit in die Stirn hineinreicht. Jedermann weiß ja heutzutage aus Fernsehfilmen, wie es in der Pathologie aussieht, kalte starre Körper unter weißen Laken oder in Tiefkühltruhen, deren Anblick man erträgt, weil man ihn nicht auf sich selbst bezieht, denkt sie in einer Art vorauseilender Panik. Aber, aber, sagt ihr Besucher, damit habe er gar nichts zu tun, fast gar nichts jedenfalls, und gibt keine Erklärung darüber ab, woher er wissen kann, was sie eben gedacht hat. So sind die Leute, sagt der Pathologe, sie lassen den, dem sie das Unvermeidliche zu tun aufgebürdet haben, ihre eigene Unvernunft entgelten. So war es, ja, das bestätigte sie sofort, da hatte er zweifellos recht, so waren die Leute. Der, dem sie Unvermeidliches zu tun gegeben hatten, verzog schmerzlich und höhnisch zugleich den Mund. Er war übrigens, das werde sie wohl kaum glauben, aus Neugier gekommen. Er habe die Frau sehen wollen, die derart gefährliche Biester in sich gezüchtet hatte. Er nämlich habe sie unter dem Mikroskop gehabt, habe sie isoliert und erkannt, diese ganz besonders apartenExemplare, die auch ein erfahrener Mann wie er nicht alle Tage zu sehen kriege: Enterobakteriazeens.
    Jetzt hatte sie das Bedürfnis zu scherzen. Ob sie darauf stolz sein solle, wollte sie wissen. Abwägend musterte er sie. Das käme darauf an. Sie fragte nicht, worauf es ankam, sie hatte keine Lust, das Gespräch fortzuführen. Die Unlust an dieser Unterhaltung stieg von Sekunde zu Sekunde, doch ihr Gesprächspartner verspürte nichts davon, er hat sich auf ein Plauderstündchen eingestellt. Je nachdem, worauf sie es angelegt hatte, könne sie auf das Ergebnis stolz sein oder eben nicht. Ich? fragte sie mit ihrer unschuldigsten Miene. Diese alberne Frage erledigte ihr Besucher mit einer knappen Handbewegung. Wenn sie es, nur mal angenommen, auf letalen Ausgang angelegt hatte, dann waren die Herrschaften, die sie losgeschickt hatte, dieses Ergebnis herbeizuführen, eben doch um ein weniges, um ein sehr weniges übrigens, zu schwach. Falls sie aber nur einen überzeugenden Vorwand für eine Verschnaufpause in dem hoch absurden Leben gebraucht habe, das wir alle führen müssen, dann: Respekt! Dafür habe sie sehr hoch gepokert, das war kein Scheingefecht, was sie sich da zugemutet habe, und in dem Falle könne sie wohl stolz sein, auf, nun ja: auf ihren Sieg.
    Aber, sagt sie, und ihr Pathologe neigt höflich den Kopf, um zu hören, was sie ihm zu erwidern hat,und als sie den Satz nicht weiterführt, tut er es für sie. Aber dahinter habe doch keine Absicht gesteckt? – Sie nickt, wenig überzeugend, wie sie selber spürt.
    Meine liebe gnädige Frau, sagt da ihr manierlicher Gast, auf diese Verhandlungsebene wollen wir uns gar nicht erst begeben. Das haben wir wohl beide nicht nötig. Wenn irgend etwas nicht den mindesten Einfluß hat auf das, was wir tun und lassen und was mit uns geschieht, dann sind es doch wohl unsere Absichten, nicht wahr.
    Er wisse also über die Kräfte Bescheid, die Einfluß haben?
    Das könne man sagen. Vom Ergebnis her, wenn er das anführen dürfe. Am Anfang seiner Tätigkeit habe er sich selbst manchmal wundern müssen, was wir Menschen alles anstellen, damit dieses Ergebnis nur ja eintritt. Sie würden es nicht glauben.
    Sie meinen –
    Ich meine, worüber wir die ganze
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