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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: du hättest vergessen Du dachtest
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gesichtet wurde, und freut sich, bis ihm einfällt, dass er den Hund nicht mehr frei herumlaufen lassen darf, denn einem Bären wäre er nicht gewachsen. Dann bekommt der Hund eine Erkältung, man muss ihn zum Tierarzt bringen und darauf achten, dass keine Komplikationen auftreten.
    Sirkka hätte für meine Hundesorgen nur ein höhnisches Lachen übrig. Ich gebe zu, dass es wesentlich aufreibender ist, ein Kind großzuziehen, aber ich hatte bisher niemanden, um den ich mich kümmern musste.
    Und die Menschen sind unberechenbar. Man sollte sich nicht einbilden, auch nur halbwegs dieselbe Sprache zu sprechen, denn die Verständigung kann jederzeit abbrechen. Wenn ich schreibe und jemand meinen Text liest, höre ich die falschen Interpretationen des Lesers nicht. Im direkten Gespräch ist alles anders.
    Nehmen wir zum Beispiel Auli Hatakka, an sich eine wirklich nette Frau. Sie ist doch keine Expolizistin, wie ich befürchtet hatte, sondern hat im Ortspolizeibezirk Iisalmi als Bürokraft gearbeitet, bevor sie sich entschloss, ihr Literaturstudium fortzusetzen. Was in den Büchern stand, bekam man auch bei der Polizei zu hören, traurige und zugleich phantasievolle Geschichten von Menschen, die ihren Vater oder einen Sauf-kumpan umgebracht hatten oder in einer Mittsommernacht ertrunken waren. Auli sagte, sie habe in meinen Büchern die Menschen wiedergefunden, deren Aussagen sie abgetippt hatte.
    In dem Winter, in dem Rane in Iisalmi auf dem Bau arbeitete, war er einige Male mit Aulis Schwester Heljä ausgegangen. Die Beziehung war eingeschlafen, als er zur Armee musste, aber Heljä hatte immer wieder sehnsüchtig von Rane aus Pielavesi gesprochen. Erst als sie in der Zeitung gelesen hatte, dass ihr Bekannter ein Mörder war, hatte sie ihre Sehnsucht überwunden. Inzwischen war sie schon zum zweiten Mal verheiratet, doch Auli hatte die Liebesgeschichte ihrer Schwester nicht vergessen. Bei der Lektüre meines ersten Romans, der in der Zeit des Bürgerkriegs spielt, hatte sie mich sofort mit Rane in Verbindung gebracht und sich sogar anhand des Melderegisters vergewissert, dass ich sein Bruder war.
    Ich verspürte ein leichtes Unbehagen, als sie über die Liebesbeziehung zwischen ihrer Schwester und meinem Bruder sprach, doch sie nahm ihre Erinnerung nicht als Vorwand für einen Flirt.
    Sie hatte alle möglichen Informationen über mich ausgegraben, bis hin zu meinen Schulnoten; es war ein merkwürdiges Gefühl.
    Um endlich meine Nervosität loszuwerden, entkorkte ich die Rotweinflasche und bot auch Auli davon an. Sie meinte, ein halbes Glas könne sie vertragen. Der Wein schmeckte nach Johannisbeeren und Eiche, er war schwer und vollmundig. Ich aß ein Stück Brot dazu. Eine gute Kombination. Nach ein paar Schlucken fiel mir die Unterhaltung etwas leichter.
    »In deinen Büchern stößt man immer wieder auf zentrale christliche Motive«, behauptete Auli plötzlich. Mir blieb das Brot im Hals stecken.
    »Ich bin Atheist«, antwortete ich und hatte nun doch wieder den Eindruck, dass das Gespräch völlig falsch lief.

    »Sühne, Erlösung, Rache bis ins dritte und vierte Glied, meta-phorische Auferstehung, ein neues Leben – sind das nicht Themen, die du behandelst?«
    »Was kann ich dafür, wenn die Christen Monopolansprüche auf diese Themen erheben! Ich wusste nicht, dass Konfessions-lose nicht darüber schreiben dürfen. Natürlich kenne ich die Bibel, immerhin habe ich die Schule besucht und gezwungenermaßen auch den Konfirmandenunterricht. Wahrscheinlich wird man die biblischen Motive nie ganz los, aber …«
    Ich merkte, dass ich mich übermäßig aufregte, und verstummte. Auli Hatakka wirkte eingeschüchtert. Die gute Sara hatte in ihrer astrologischen Periode meinen Roman »Von der Leere gebissen« als perfekte Schilderung der Unvereinbarkeit von Menschen mit den Sternzeichen Widder und Fische bezeichnet; abstruse Deutungen konnte ich nun einmal nicht verhindern.
    »Schön, dann stellen wir diese Motive in einen anderen Be-zugsrahmen«, sagte Auli mit bebender Stimme. »Wir sind wohl alle an unsere Weltanschauung gebunden. Ich bin überzeugte Christin und betrachte die Welt von meiner Warte aus. Es tut mir leid, wenn ich dich damit beleidigt habe.«
    Mir fiel nichts anderes ein als die abgedroschene Bemerkung, jedes Werk entstehe letztlich im Kopf des Lesers und deshalb seien alle Interpretationen richtig. Dabei hasste ich meine als Höflichkeit maskierte Feigheit. Ich schenkte mir Wein nach und ließ Ulla kurz
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