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Lehtolainen, Leena

Titel: Lehtolainen, Leena
Autoren: Weiss wie die Unschuld
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Schokolade, bääh. Beim Gedanken an Süßigkeiten wurde mir plötzlich übel. Vielleicht hatte ich an den Feiertagen zu viel davon gegessen.
    Seufzend legte ich auf dem PC ein neues Dokument an und tippte meinen Bericht über die Vernehmung ein, die ich gerade geführt hatte. Nicht alle Einwohner von Espoo hatten so friedliche Weihnachtstage erlebt wie ich. An Feiertagen häuften sich die Fälle häuslicher Gewalt, und nach der Rückkehr aus dem Weihnachtsurlaub hatte ich Akten über mehrere Körperverletzungen und eine Messerstecherei mit Todesfolge auf meinem Schreibtisch vorgefunden. Kein Wunder, dass einige meiner Kollegen eine ausgesprochen zynische Einstellung zu Ehe und Familienleben hatten. Auch in unserer Abteilung war jeder Zweite geschieden, und Palo war mittlerweile beim dritten Eheversuch angelangt.
    Woher kam nur diese Müdigkeit? Ich hatte doch gar nichts Besonderes getan. Selbst unsere täglichen Skitouren waren bei dem starken Frost kürzer und ruhiger ausgefallen als sonst. Antti und ich wohnten seit dem letzten Sommer in Henttaa, in einem renovierungsbedürftigen Einfamilienhaus mit anderthalb Etagen, das den Erben des Bruders eines Kollegen von Antti gehörte.
    Das Haus war schwer verkäuflich, weil die geplante Umgehungsstraße direkt an ihm vorbeiführen sollte. Noch hatten wir freie Aussicht über die langsam verwaldenden Brachäcker, auf denen sich Hasen und Maulwürfe tummelten, doch die Verwirk-lichung der Baupläne würde uns eine grau asphaltierte Umgebung bescheren. Dass wir nur auf Abruf in unserem neuen Heim lebten, störte mich eigentlich nicht. Im Gegenteil, vielleicht war mir die Gewissheit, dass es Veränderungen geben würde, sogar willkommener als früher, weil ich jetzt eine feste Anstellung und dazu noch einen Ehemann hatte. Im Allgemeinen hatte ich es nie lange an einem Ort ausgehalten, befristete Jobs und Vertretungen waren mir ganz recht gewesen. Dass ich inzwischen schon zweieinhalb Jahre mit Antti zusammenlebte, war eine reife Leistung für mich. Vielleicht hatte ich nur deshalb den Mut gehabt, ihn zu heiraten, weil es heutzutage so leicht ist, sich scheiden zu lassen.
    Im Gegensatz zu mir hatte Antti in Henttaa bereits Wurzeln geschlagen und trauerte um die bald verlorene Landschaft. Er hatte sich mit den Gegnern der Umgehungsstraße in Verbindung gesetzt, doch der Kampf schien aussichtslos: Was sich die Straßenbaubehörde und die zuständigen Beamten in Espoo einmal in den Kopf gesetzt hatten, das wurde verwirklicht, selbst wenn die neue Straße überflüssig war. Schon damals, als der Ausbau des westlichen Zubringers in Tapiola die Landschaft seiner Kindheit zerstört hatte, war Antti verzweifelt gewesen, und letzten Endes war die Landschaftsverschandelung wohl auch der Grund, weshalb seine Eltern ihr Haus in Tapiola verkauft hatten und nach Inkoo in ihr bisheriges Sommerhaus gezogen waren.
    Antti war ein vehementer Gegner des Straßenbauprojekts geworden und hatte gleichzeitig ein so ausgeprägtes Umweltbe-wusstsein erworben, dass ich ihm halb im Spaß prophezeit hatte, er würde bei der nächsten Kommunalwahl für die Grünen kandidieren.
    »Obwohl du lieber die Sozis oder die Sammlungspartei unter-wandern solltest, die treiben den Straßenbau doch am eifrigsten voran«, meinte ich schließlich. Es war nicht zu übersehen, dass Antti eine neue Freizeitbeschäftigung brauchte. Mir genügten Joggen, Bodybuilding und das regelmäßige Training auf dem Schießstand der Polizei, mit dem ich nach einem Vorfall im Sommer des letzten Jahres begonnen hatte. Ich hatte damals zum ersten Mal in meiner Laufbahn von der Waffe Gebrauch machen müssen und festgestellt, dass meine Treffsicherheit zu wünschen übrig ließ. Inzwischen hatte sich meine Schießtechnik verbessert, aber ich hoffte inständig, meine Fertigkeiten nicht unter Beweis stellen zu müssen.
    Das Telefon klingelte, die Zentrale teilte mit, Aira Rosberg wolle mich sprechen. Erst nach einigen Sekunden erinnerte ich mich wieder an Aira, Elina und das Gutshaus Rosberga. In der Hektik der Weihnachtsvorbereitungen hatte ich sie ebenso vergessen wie mein Versprechen, in Johannas Angelegenheit meine Fühler bei der zuständigen Provinzialpolizei auszustre-cken.
    Sobald die Verbindung hergestellt war, sagte Aira merklich zögernd:
    »Ich weiß nicht, ob ich die Polizei damit belästigen sollte, aber
    … Elina ist verschwunden …«
    »Verschwunden? Wie denn das?«

    »Seit gestern Abend hat sie niemand mehr gesehen. Ihr
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