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Lehrer-Schueler-Konferenz

Lehrer-Schueler-Konferenz

Titel: Lehrer-Schueler-Konferenz
Autoren: Thomas Gordon
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infantil bleiben. Statt wachsendes Verantwortungsbewusstsein zu fördern, beherrschen und kontrollieren Lehrer Schüler jeglichen Alters, als ob man ihnen nicht vertrauen dürfte und sie nie Verantwortung übernehmen könnten. Statt zur Unabhängigkeit zu ermutigen, verstärken die Schulen tatsächlich die Abhängigkeit der Lernenden von ihren Lehrern– indem sie festlegen, was und wie sie lernen sollen, wann und natürlich wie gut sie lernen sollen.
    Nicht, dass die Lehrkräfte wirklich Schüler wollen, die keine eigene Verantwortung tragen können und abhängig sind– die meisten von ihnen wollen das nicht. Es fehlen ihnen vielmehr Fähigkeiten und Methoden, mit deren Hilfe sich in zwischenmenschlichen Beziehungen Selbstanleitung, Selbstverantwortung, Selbstbestimmung, Selbstkontrolle und Selbstbewertung entwickeln können. Derartige Qualitäten entwickeln sich nicht zufällig; sie müssen von El tern und Lehrern gepflegt und bewusst gefördert werden.
    In unserem Kurs zeigen wir, dass Wachstum und Entwicklung keine leeren Ideale bleiben müssen. In den Kapiteln 3 und 4 zum Beispiel können Lehrer eine neue Fähigkeit lernen, » aktives Zuhören« genannt, mit der sie Kindern und Jugendlichen bei der Bewältigung ihrer Konflikte und Lernstörungen helfen können. Dabei soll der Schüler in die Lage versetzt werden, seine eigene Lösung zu finden – das heißt, ihm werden keine fertigen Lösungen und Vorschläge serviert, was häufig die typische Reaktion von Pädagogen auf Schülerprobleme ist. Wenn jungen Menschen erlaubt wird, ihre Probleme eigenständig zu lösen, steigert dies ihre Eigenverantwortung und ihr Selbstbewusstsein enorm.
    Das folgende Beispiel demonstriert, wie geschickt eine Lehrerin die Verantwortung ihrer Schülerin überlässt, indem sie sich des aktiven Zuhörens bedient– eine Reaktion, bei der der Zuhörer Botschaften des Senders wiederholt oder rückmeldet.
    Die Klasse hatte den amerikanischen Unabhängigkeitskrieg durchgenommen und die Schülerin die Aufgabe erhalten, einen Aufsatz über einen beliebigen Aspekt zu schreiben.
    Schülerin : Ich wollte Sie um Ihre Meinung darüber bitten, was ich in meinem Aufsatz schreiben soll.
    Lehrerin : Du weißt nicht recht, welches Thema du wählen sollst, habe ich recht?
    Schülerin : Stimmt genau. Ich habe tagelang darüber gebrütet, aber mir ist noch immer nichts eingefallen. Sicher haben Sie eine Idee.
    Lehrerin : Du hast dich wirklich damit herumgeschlagen, aber bist bisher nicht weitergekommen.
    Schülerin : Worüber haben denn die anderen gute Aufsätze geschrieben?
    Lehrerin : Du suchst nach einem Thema, über das sich ein besonders guter Aufsatz schreiben lässt, ja?
    Schülerin : Ja. Ich muss für diesen Aufsatz einfach eine sehr gute Note bekommen.
    Lehrerin : Das klingt, als ob du dich unter Druck fühlst, eine gute Note zu bekommen.
    Schülerin : Und ob! Meine Eltern würden eine schlechte Note nicht akzeptieren. Sie wollen immer, dass ich so gut wie meine ältere Schwester bin. Die hat wirklich Köpfchen.
    Lehrerin : Du hast das Gefühl, sie erwarten von dir, in der Schule ebenso gut wie deine Schwester zu sein.
    Schülerin : Ja. Aber ich bin nicht wie sie. Ich habe andere Interessen. Ich wünschte, meine Eltern würden mich nehmen, wie ich bin– ich bin anders als Linda. Sie lernt nur.
    Lehrerin : Du hast das Gefühl, eine andere Persönlichkeit als deine Schwester zu sein, und wünschst, deine Eltern würden das anerkennen.
    Schülerin : Wissen Sie, ich habe ihnen nie gesagt, was ich fühle. Das will ich jetzt mal versuchen. Vielleicht hören sie dann auf, mich so zu drängen, eine glatte Eins im Zeugnis zu haben.
    Lehrerin : Du meinst, du solltest ihnen vielleicht sagen, wie du darüber denkst.
    Schülerin : Ich kann nichts dabei verlieren. Und vielleicht nützt es.
    Lehrerin : Du hast alles zu gewinnen und nichts zu verlieren.
    Schülerin : Genau. Wenn sie aufhören, hinter mir her zu sein, müsste ich mich nicht so um meine Zensuren sorgen. Vielleicht könnte ich sogar mehr lernen.
    Lehrerin : Möglicherweise würdest du sogar mehr von der Schule profitieren.
    Schülerin : Ja. Dann könnte ich einen Aufsatz über ein Thema schreiben, das mich interessiert, und dabei etwas lernen. Danke, dass Sie mir bei meinem Problem geholfen
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