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Lehmann, Christine

Lehmann, Christine

Titel: Lehmann, Christine
Autoren: Nachtkrater
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jetzt ein gutes Geschäft machen?«
    »Darum geht es nicht, Lisa! Die Techniken, um die heute verhandelt wird, sind in ein paar Jahren eh ganz andere. Bei der Reise geht es darum, Europa den expa n dierenden und ziemlich risikofreudigen chinesischen Energiemarkt zu sichern.«
    »Aber zunächst für schmutzige Fusionsreaktoren, sol che, die heftige Strahlung absondern, oder?«
    »Aber mit der Fiktion, dass Europa sich zum Wel t marktf ü hrer beim Abbau von Helium-3 auf dem Mond entwickelt, um später saubere Fusionsreaktoren bauen zu können.« Richard schlürfte mit spitzen Lippen den he i ßen Kaffee.
    »Und das gefällt dir nicht?« Ich versuchte zu verst e hen, worum es ihm eigentlich ging.
    »Gefällt dir das denn?«, fragte er pietistisch streng. »Vor knapp zwanzig Jahren hat Europa ein Waffenemba r go gegen China beschlossen. Ausfuhren bedürfen e i ner Genehmigung des Bundesamts für Wirtschaft und Au s fuhrkontrolle. Dennoch liefert die TSE/SSF ung e niert Teile für Human-Zentrifugensysteme zur Astronaute n ausbildung und automatische Orientierungs- und Steu e rungselemente, die nicht nur im Weltraum nützlich sind, sondern vor allem in Schützenpanzern, U-Booten und Raketen, die beispielsweise gegen Taiwan zum Ei n satz kommen könnten.«
    »Und nun fragst du dich, ob du deinen Freund Gunter vor der Reise verhaften lassen musst oder ob es danach auch noch reicht?«
    Richard blickte schmaläugig zu mir herüber. »Ich könnte durchaus ein Verfahren wegen Korruption einle i ten. Bei Außenhandelsgeschäften findet man immer was. Aber was würde das ändern? Weltraumtechnik und Kriegstechnik sind untrennbar miteinander verbunden.«

4
     
    »Der Amerikaner Hutchings Goddard hat erklärt, dass es möglich sei, mit mehrstufigen Pulverraketen den luftle e ren Raum zu erreichen und vielleicht sogar eine Blit z lichtentladung auf der Mondoberfläche zu zünden.« R a kete zu den Planetenräumen, Hermann Oberth, 1923
     
    Warum hatte man ausgerechnet mich am Leben gela s sen und nicht Richard? Warum hatte man mich auf den Mond geschossen und nicht im Bodenseehinterland ve r buddelt? Das wäre auch viel billiger gewesen. Hundert Millionen Euro kostete es, einen Menschen auf den Mond zu schießen und zurückzuholen. Vielleicht würde man in meinem Fall wenigstens die Rückholkosten sp a ren.
    Aber warum das Ganze? Damit ich mich noch eine Weile in Schmerzen krümmte, ehe ich starb, damit ich Buße tat für meinen Mangel an Respekt vor den Wel t mächten, damit ich bereute und mich schämte, weil ich niemals auf Richards Gefühle Rücksicht genommen ha t te, eigentlich auf niemandes Gefühle. Damit ich endlich meine gerechte Strafe bekam: Da siehst du mal, wo das hinführt! Aber warum?
    Drei Tage Flug hatte ich gerade so überlebt in der Mühle von Fragen, die mir keiner beantwortete. Wo bin ich eigentlich? Warum hat Richard sterben müssen? W a rum weiß ich nicht, wie ich in die Raumfähre gekommen bin?
    Meine innere Schockstarre hatte wenig dazu beigetr a gen, die Torturen der Schwerelosigkeit auszuhalten. Mit eingezogenem Kopf und Kotztüte in der Hand hatte ich mich in meinem Schalensitz verankert. Raumkrankheit nannte man das. Zu viel Blut im Oberkörper, zu wenig in den Beinen. Mir sausten die Ohren! Und ich hatte unu n terbrochen das Gefühl, auf dem Kopf zu stehen. Auch wenn ich mich umdrehte. In der Schwerelosigkeit gab es halt kein Oben und Unten. Ich stand immer nur auf dem Kopf. Da wird man verrückt.
    Zusätzlich hatte Franco mich zugetextet. Er war Le h re r – Professor, wie das im Spanischen hieß – für Geol o gie, hatte als Junge von der Raumfahrt und der Unabhängi g keit Kataloniens geträumt und sich für die katalan i sche CiU ins Europaparlament wählen lassen. Als die Frage aufkam, welcher Volksvertreter für eine Reise zur Art e mis geeignet wäre, hatte er wild den Finger gestreckt und sich im Weltraumtechnikinstitut in Torrejó n de A r doz bei Madrid trainieren lassen. Er war wenigstens auf irgen d etwas vorbereitet: mit Parabelflügen auf die Schwerel o sigkeit, im Wasserbecken auf die Bewegung in schweren Raumanzügen.
    Ich dagegen taumelte sinn- und orientierungslos durch die Artemis. Mein Gleichgewichtsempfinden oszillierte zwischen Schwerelosigkeit und Mondschwere, die mir vorkam wie Erdenschwere. Meine Nase rotzte, meine Augen juckten, obgleich der Duft des Mondes nach a b gebrannten Silvesterknallern längst verflogen war. Tam a ra führte uns in die Wirbelsäule des Habitats ,
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