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Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes

Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes

Titel: Legende von Eli Monpress 02 - Herr des Windes
Autoren: Rachel Aaron
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Entfernung. Seine Gestalt war zwischen den Bäumen kaum noch zu sehen, aber immer noch hing die Macht seiner Worte in der Luft. Der Mann konnte nur hilflos gegen das Schlinggewächs ankämpfen, während der Junge in der Dunkelheit verschwand. Erst danach verblasste die Macht langsam. Der Efeu verlor seinen Halt, sodass der Mann sich befreien konnte. Er machte ein paar Schritte in die Richtung, in die der Junge verschwunden war, dann überlegte er es sich anders.
    »Er wird zurückkommen«, murmelte er, während er Blätter von seiner Robe schlug. »Eine Nacht im Wald wird ihm guttun.« Er starrte den Efeu böse an. »Er wird zurückkehren. Ohne mich kann er nicht zurechtkommen.«
    Der Efeu zog sich mit einem kaum hörbaren Rascheln zurück, weil er durchaus wusste, dass er Anteil an seiner Wut hatte. Der Mann warf einen letzten unheilvollen Blick Richtung Wald, dann stiefelte er in den Turm. Er schlug die Tür hinter sich zu, sodass der Lichtschein abbrach und die Lichtung in völliger Dunkelheit zurückblieb, während der Regen langsam wieder anfing zu fallen.

    Der Junge rannte. Er stolperte über abgebrochene Äste und watete durch schlammige Bäche, die vom endlosen Regen angeschwollen waren. Er wusste nicht, wo er hinlief, und er war erschöpft davon, was auch immer er auf der Lichtung getan hatte. Er keuchte so laut, dass er die Geräusche des Waldes kaum wahrnehmen konnte, und doch hörte er die Geister um sich herum, egal, wie viel Lärm er machte – die Wut des Baches darüber, dass er voller Schlamm war, die Wut der Erde, weil sie von ihrem Mutterboden getrennt und in den Bach geschwemmt worden war, das zufriedene Murmeln der Bäume, während das Wasser an ihnen herunterlief, das unbekümmerte Singen der Grillen. Die Laute der Geisterwelt füllten seine Ohren, wie es kein anderes Geräusch vermochte. Er klammerte sich an ihnen fest und ließ sich von den Stimmen vorwärtsziehen, als seine Beine zu versagen drohten.
    Der Regen nahm im Laufe der Nacht noch zu, und der Junge wurde langsamer. Jetzt wanderte er durch den dunklen, nassen Wald. Er hatte keine Ahnung, wo er sich befand, und es war ihm auch egal. Es war ja nicht so, dass er zum Turm zurückwollte. Nichts konnte ihn dorthin zurückzwingen, zurück zu dem endlosen Unterricht und den Regeln der schwarzweißen Welt, in der sein Vater lebte.
    Tränen rannen ihm offen über das Gesicht, und er rieb sie sich mit dreckigen Fäusten aus den Augen. Er konnte nicht nach Hause gehen. Jetzt nicht mehr. Er hatte seine  Wahl getroffen; es gab kein Zurück. Sein Vater würde ihn nach seiner offenen Rebellion sowieso nicht zurücknehmen. Wertlos – sein Vater hatte ihn abgeschrieben. Welche Hoffnung blieb ihm da noch?
    Er stolperte, fiel und landete hart auf seiner Schulter. Für eine Sekunde krümmte er sich, dann lag er still auf dem nassen Boden und nahm den Duft der verrottenden Blätter in sich auf. Warum sollte er weiterlaufen? Er konnte nicht zurück, und er wusste nicht, wo er sonst hinsollte. Seit Ewigkeiten lebte er mit seinem Vater hier draußen. Er hatte keine Freunde oder Verwandten, zu denen er gehen konnte. Seine Mutter würde ihn nicht nehmen. Sie hatte ihn nicht gewollt, als es ihm noch gut gegangen war; jetzt würde sie sich bestimmt nicht für ihn interessieren. Und selbst wenn: Er wusste nicht einmal, wo sie lebte.
    Mit einem Grunzen rollte er sich auf den Rücken und starrte durch die tropfenden Äste in den dunklen Himmel über sich, während er versuchte, sich über seine Situation klar zu werden. Jetzt würde er niemals ein Magier werden, nicht wie sein Vater, mit seinen Ringen und Regeln und Pflichten. Und das war, soweit der Junge es erkennen konnte, die einzige Art von Magier, welche die Welt haben wollte. Vielleicht könnte er in den Bergen leben? Aber er wusste nicht, wie man jagte oder Feuer machte, oder auch nur, welche Pflanzen man essen konnte. Und das war schlimm, weil er langsam Hunger verspürte. Doch mehr als alles andere war er müde. So müde. Müde und klein und wertlos.
    Er spuckte ein wenig Dreck aus. Vielleicht hatte sein Vater recht. Vielleicht war wertlos das richtige Wort, um ihn zu beschreiben. Zumindest fiel ihm im Moment nichts ein, worin er wirklich gut war. Er konnte nicht einmal mehr die Geister hören. Der Regen hatte aufgehört, und die Geister beruhigten sich und glitten zurück in den Schlaf. Auch ihm fielen langsam die Augenlider zu, aber er sollte nicht so schlafen – nass und dreckig und ungeschützt.
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