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Legende der Angst

Legende der Angst

Titel: Legende der Angst
Autoren: Christopher Pike
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Aber sie erlaubte ihnen nicht, über ihre Wangen zu laufen. Kevin war tot – sie durfte jetzt nicht an ihn denken. Sie durfte nicht daran denken, was sie ihm angetan hatte, sonst drohte sie den Verstand zu verlieren, bevor sie mit dem fertig war, was sie tun mußte.
    Aber das war leichter gesagt als getan. Übelkeit stieg in ihr auf, und sie wandte sich zur Toilettenschüssel um und erbrach rote Brocken, bei deren Anblick sie sich immer weiter übergeben ließ, bis nichts mehr davon in ihren Eingeweiden übrig war. Sie betete zu Gott, daß nichts mehr übrig war.
    »Kevin«, brachte sie qualvoll hervor.
    Das Pochen begann ihren Kopf wieder zu martern.
    Diesmal hieß sie es willkommen.
    Angela wirbelte herum und rannte zu dem Schrank im Schlafzimmer. Vor Stunden hatte sie nicht gewußt, wie sie die kleineren der mit Benzin gefüllten Kanister mit den großen hatte zusammenbinden sollen. Letztendlich hatte sie dann beschlossen, nicht alle ihre Eier in einen Korb zu legen. So hatte sie die Zehn-Liter-Kanister in ihren Schrank gepackt und Kleidungsstücke darübergelegt, um sie zu verbergen. Da sie schließlich noch das begraben hatte, was von ihrem Großvater übrig gewesen war, hatte sie keine Zeit mehr gehabt, eine zweite Lunte vorzubereiten. Ihr zweiter ›Korb‹ war als Notbombe gedacht. Sie war schon zu dem Schluß gekommen, daß sie womöglich mit in die Luft flog, wenn sie sie zündete.
    Die Benzinkanister waren noch genau da, wo Angela sie zurückgelassen hatte.
    Angela schloß die Schranktür und durchwühlte den Schreibtisch auf der Suche nach einem Feuerzeug. Das Glück war auf ihrer Seite.
    Sie fand drei noch neue, in Plastik eingeschweißte Feuerzeuge: ein rotes, ein weißes, ein blaues. Sie konnte sich die Farbe aussuchen. Sie riß die Plastikhülle auf und nahm das rote.
    Plastic.
    Die Hündin stand draußen auf dem Balkon und starrte ängstlich durch die Glastür zu ihr ins Zimmer. Wenn ich das Haus in die Luft jage, dachte Angela, bringe ich Plastic um. Ein geringer Preis, wenn dafür der Erhalt der menschlichen Rasse gewährleistet werden konnte, sicher, aber Angela plagten bereits Schuldgefühle, was den Hund anging. Sie eilte zur Balkontür und öffnete sie geräuschlos. Plastic war nicht nachtragend. Sofort leckte das Tier Angela die Hand und winselte, als sie neben ihm niederkniete.
    »Schhhh«, sagte Angela leise. »Du kannst nicht hierbleiben. Du mußt schwimmen.« Sie deutete auf den See. »Spring ins Wasser. Geh schwimmen, sei ein braves Mädchen. Geh, Plastic. Verdammt, beweg deinen Hintern weg von hier.«
    Natürlich sprang Plastic nicht in den See. Sie hatte Wasser noch nie gemocht und schien nicht geneigt, ihre Vorlieben jetzt zu ändern. Angela überlegte, was sie tun sollte, als sie Jim zur Schlafzimmertür hereinkommen sah. Er war allein. Sie warf einen Blick zum Schrank. Sie hatte die Tür zugemacht, aber diese war wieder aufgesprungen.
    »Wir wollen mit der Versammlung beginnen«, sagte Jim mit ausdrucksloser Stimme.
    Angela stand auf und kehrte dem Hund den Rücken. Sie bemühte sich, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen und keine Regung zu zeigen. »Ich komme gleich«, sagte sie.
    »Komm sofort mit.«
    Sie trat über die Schwelle ins Zimmer. Plastic blieb auf dem Balkon. »Ich muß mir etwas anderes anziehen«, erklärte sie.
    »Das ist nicht nötig«, entgegnete Jim und ließ sie nicht aus den Augen. »Die Versammlung fängt jetzt gleich an.«
    »Ich bin in einer Minute unten«, sagte sie und fragte sich, ob KAtuu Widerworte gaben. Ihr Blick wanderte zu der offenstehenden Schublade des Schreibtisches, dann wieder zurück zu Jim. Das weiße und das blaue Feuerzeug lagen in der aufgerissenen Plastikhülle auf einer Kiste mit stumpfen Bleistiften. Das rote Feuerzeug hielt sie für Jim unsichtbar in ihrer linken Hand fest. Sie steckte in einer Zwickmühle; sie wollte nicht zu dem Schreibtisch hinübergehen und Jims Aufmerksamkeit darauf lenken, aber sie erinnerte sich daran, daß das Jagdmesser in der zweiten Schublade lag. So, wie Jim sie ansah, würde sie dieses Messer vielleicht bald brauchen.
    »Was trägst du da?« wollte Jim wissen.
    Verdammt! Das Amulett!
    »Was meinst du?« fragte sie zurück. Sie konnte die Goldkette auf ihrer Haut spüren und mußte nicht nach unten sehen, um zu wissen, daß das Amulett da war. Langsam ging sie auf den Schreibtisch zu.
    »Was trägst du da um den Hals?« wiederholte Jim.
    »Ein Schmuckstück«, antwortete sie. Noch ein Schritt auf den
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