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Legend - Fallender Himmel

Titel: Legend - Fallender Himmel
Autoren: Marie Lu
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einen verdrossenen Blick zu. Sie versucht nur, mich zu trösten, aber danach ist mir jetzt nicht zumute. »Es brennt Licht. Guck doch mal, die Kerzen. Mom würde nie Kerzen verschwenden, wenn keiner zu Hause wäre.«
    Tess tritt neben mich. »Wir sollten die Stadt für ein paar Wochen verlassen, okay?« Sie versucht, ihre Stimme ruhig klingen zu lassen, aber die Angst sickert trotzdem durch. »Die Seuche ebbt bestimmt bald wieder ab, dann kannst du zurück und sie besuchen. Wir haben mehr als genug Geld für zwei Zugtickets.«
    Ich schüttele den Kopf. »Einen Abend pro Woche, weißt du nicht mehr? Lass mich einen Abend pro Woche nach ihnen sehen.«
    »Klar. Aber diese Woche bist du jeden Abend hergekommen.«
    »Ich will nur sehen, ob es ihnen gut geht.«
    »Was ist, wenn du krank wirst?«
    »Das Risiko gehe ich ein. Und du hättest ja auch nicht mitkommen müssen. Du hättest genauso gut in Alta auf mich warten können.«
    Tess zuckt mit den Schultern. »Irgendwer muss ja ein Auge auf dich haben.« Zwei Jahre jünger als ich - und manchmal klingt sie trotzdem, als wäre sie mein Kindermädchen.
    Wir sehen eine Weile schweigend zu, wie sich die Soldaten immer weiter auf das Haus meiner Familie zubewegen. Jedes Mal, wenn sie vor einem Haus stehen bleiben, hämmert einer von ihnen laut an die Tür, während ein zweiter mit der Waffe im Anschlag daneben steht. Wenn innerhalb von zehn Sekunden niemand öffnet, tritt der erste Soldat die Tür ein. Sobald sie drinnen sind, kann ich sie nicht mehr sehen, aber ich kenne das Prozedere: Ein Soldat nimmt von jedem Familienmitglied eine Blutprobe, schiebt sie in ein tragbares Analysegerät und testet sie auf die Seuche. In zehn Minuten ist das Ganze vorbei.
    Ich zähle die Häuser, die noch zwischen dem meiner Familie und den Soldaten liegen. Ich werde noch etwa eine Stunde warten müssen, bis ich ihr Schicksal erfahre.
    Ein Schrei gellt vom anderen Ende der Straße durch die Dunkelheit. Mein Blick huscht in die Richtung, aus der er gekommen ist, und meine Hand schnellt zu dem Messer an meinem Gürtel. Tess atmet scharf ein.
    Es ist ein Seuchenopfer. Die Frau muss schon seit Monaten dahinsiechen, denn ihre Haut ist überall aufgesprungen und blutig, und ich frage mich, wie die Soldaten sie bei ihren früheren Kontrollen übersehen konnten. Eine Weile taumelt sie orientierungslos umher, dann fängt sie plötzlich an zu rennen, nur um zu stolpern und auf die Knie zu fallen.
    Ich blicke wieder zu den Soldaten. Jetzt sehen sie sie auch. Der mit der gezogenen Waffe nähert sich ihr, die übrigen elf bleiben zurück und sehen zu. Ein Seuchenopfer stellt keine große Bedrohung dar. Der Soldat hebt sein Gewehr und zielt. Funken stieben um die infizierte Frau auf.
    Sie bricht zusammen und bleibt reglos liegen. Der Soldat gesellt sich wieder zu seinen Kameraden.
    Ich wünschte, wir könnten irgendwie an eins von diesen Gewehren kommen. So eine nette, kleine Waffe kostet auf dem Schwarzmarkt nicht viel - 480 Noten, weniger als ein Herd. Wie alle Schusswaffen ist sie hochpräzise und nutzt magnetische und elektrische Felder, sodass man ein Ziel auf drei Häuserblocks Entfernung sicher trifft. Dad hat mal gesagt, dass sie diese Technologie bei den Kolonien geklaut haben, aber das würde die Republik natürlich nie zugeben. Wenn wir wollten, könnten Tess und ich uns fünf Stück davon kaufen ... Über die Jahre haben wir uns angewöhnt, einen Teil des Geldes, das wir stehlen, zu horten und für Notfälle zu sparen. Aber das eigentliche Problem bei diesen Waffen sind nicht die Kosten. Man ist damit einfach zu leicht aufzuspüren. Jede von ihnen ist mit einem Sensor versehen, der Informationen über die Handform des Benutzers, seine Fingerabdrücke und seinen Aufenthaltsort speichert. Wenn sie mich auf diese Weise nicht schnappen würden, dann weiß ich auch nicht. Also bleibe ich lieber bei meinen selbst gebauten Waffen, Schleudern aus PVC und anderem Kinderspielzeug.
    »Sie haben noch eins gefunden«, sagt Tess. Sie kneift die Augen zusammen, um besser sehen zu können.
    Ich blicke nach unten und beobachte, wie die Soldaten aus einem weiteren Haus strömen. Einer von ihnen schüttelt eine Spraydose und sprüht ein riesiges rotes X an die Tür. Ich kenne dieses Haus. Zu der Familie, die dort wohnt, gehörte mal eine Tochter in meinem Alter. Als meine Brüder und ich noch klein waren, haben wir mit ihr gespielt - Blindekuh oder Straßenhockey mit alten Eisenstangen und Bällen aus
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