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Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)

Titel: Lebenslust: Wider die Diät-Sadisten, den Gesundheitswahn und den Fitness-Kult (German Edition)
Autoren: Manfred Lütz
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ist störbar, die Gesundheit, durch Krankheiten, die man mit Hilfe der Medizin bekämpfen kann, aber das, was dann wieder die Herrschaft übernimmt, wenn die Krankheit besiegt ist, die Gesundheit, die können wir weder herstellen und machen noch eigentlich feststellen und wissen. Sie ist verborgen, wie alles Wichtige im Leben. Wir können ihr Raum geben, sie beobachten, ehren und den Göttern für sie danken. Macht über die Gesundheit aber hat niemand, auch nicht die Medizin.

II. Die Macht der neuen Weltreligion
    So weit die alten Griechen, so weit der alte Hans-Georg Gadamer, Jahrgang 1900, aber so weit keineswegs der junge, aufstrebende Forscher der Universität von Kalifornien, Jahrgang 1968. Die »Verborgenheit der Gesundheit« ist bei ihm keine Aufforderung zu einer Bescheidenheit, die sich bei aller Forschungsbegeisterung der Grenzen medizinischer Bemühungen nüchtern bewusst bleibt. Vielmehr ist dieser junge Mediziner Teil eines weltweit herrschenden Gesundheitsgetriebes, das inzwischen gigantische Formen annimmt und von dem Gedanken lebt, dass Gesundheit herstellbar ist. Nichts wird ihn aufhalten, sich dieser Aufgabe hinzugeben.
    Nun hat man schon vieles für herstellbar gehalten, was sich dann doch als vergeblich erwies. Am bekanntesten ist da die Bemühung der Alchimie um die Herstellung von Gold aus weniger wertvollen Materialien. Namhafte Persönlichkeiten waren dieser fixen Idee verfallen. Doch über eine sektenhafte Größe kam der »Gläubigenkreis« nicht hinaus. An die Herstellbarkeit der Gesundheit aber glauben heute fast alle. Und wer darüber lamentiert, dass die Religion in unseren Gesellschaften verdunste, hat übersehen, dass sie sich inzwischen im Gesundheitswesen neu kristallisiert hat. Wir leben im Zeitalter eines weltumspannenden Gesundheitskults.
    1. Kult
    Diese neue Weltreligion ist insofern tolerant, als sie sich mit allen anderen Religionen arrangiert hat. Im Stil des Judo weicht sie jedem Angriff geschickt aus und nutzt einfach hemmungslos die Traditionen und Üblichkeiten der überkommenen Religionen zur eigenen Vervollkommnung. Dadurch sickern die gesundheitsfrommen Inhalte sogar mit Hilfe der Formen der Altreligionen unmerklich, aber höchst wirksam ins allgemeine Bewusstsein ein. Heilfasten ist inzwischen in der kirchlichen Fastenzeit der Renner. Sogar bestallte Religionsvertreter sind sich keineswegs zu schade, die Fastenzeit nicht als Zeit gelebten Verzichts, sondern bloß noch als Chance für die Gesundheit anzupreisen. Man tarnt dieses Opfern vor fremden Götterbildern mit »Zugehen auf die Menschen von heute« und verweist mit selbstzufriedenem Stolz auf die hohen Besucherzahlen. Die Quote stimmt. Dabei ist niemand auf irgendjemanden zugegangen. Man hat nur einfach das Programm gewechselt und redet nicht mehr über den lieben Gott, sondern über die Gesundheit, wogegen der liebe Gott, lieb, wie der ist, doch bestimmt nichts einzuwenden hat. Man schreckt in diesem Zusammenhang inzwischen vor gar nichts mehr zurück. Originalbericht aus dem Lokalteil einer Zeitung: »Wer bei Kaffee und Kuchen gerne gemütlich beisammensitzt und plaudert, ist beim Seniorennachmittag des Diakonievereins Gmund genau richtig. Dort wird die Heilpraktikerin … über das Thema ›Eine Reise durch unser Verdauungssystem‹ referieren. Ihren Vortrag unterlegt die Referentin mit farbigen Bildern.« Das kirchliche Bildungswerk bringt eine Woche später mit größter Selbstverständlichkeit den Vortrag eines Heilpraktikers unters Volk mit dem heidnischen Titel »Unsere Ernährung – unser Schicksal«. Da lobt man sich den alten vereinnahmungsresistenten, aber ehrlichen Vulgärmarxismus: »Der Mensch ist, was er isst.« Als kürzlich Untersuchungen feststellten, dass Menschen, die beten und fromm sind, gesünder sind und länger leben, kam es zum Offenbarungseid der real existierenden, offiziellen Religionen. Mit Begeisterung wurden diese Berichte dort aufgenommen. Kirchliche Zeitungen – deren Anzeigenteil ohnehin den nachweislich höchsten Prozentsatz an Knoblauchpillenwerbung enthält – druckten die Meldung ab mit dem Unterton, das sei doch endlich mal eine frohe Botschaft. So sehen sie aus, die stillen Triumphe des Gesundheitskults. Man stelle sich vor: Beten und fromm sein, nicht um möglichst sicher in den Himmel zu kommen, sondern um möglichst spät und möglichst gesund in den Himmel zu kommen. Das ist das erbärmliche Ergebnis, wenn der Gesundheitsvampir seinem Opfer, der Altreligion,
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