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Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)

Titel: Lebenslänglich Klassenfahrt: Mehr vom Lehrerkind (German Edition)
Autoren: Bastian Bielendorfer
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beidseitiges, von Respekt geprägtes Verhältnis zu ermöglichen. So weit die Theorie.
»Guten Morgen, du Arsch!«, brüllte Gökhan Mutlu, als Thomas Kippel zum ersten Mal durch unsere Klassentür trat. Herr Kippel nickte nur freundlich, als wäre das eine angemessene Anrede. Thomas Kippel war unser Pädagogiklehrer, und er war in der Schule ungefähr so gut aufgehoben wie Hansi Hinterseer als Vorband von Marilyn Manson. Herr Kippel galt als vogelfrei. Nicht nur, dass Herr Kippel durch sein naives und nahbares Wesen ohnehin kein besonders geeignetes Pädagogenmaterial abgab, zusätzlich vernachlässigte er von vornherein ein paar der wichtigsten Regeln im Umgang mit Schülern.
Regel Nummer 1: Lass dich nicht duzen.
»Morgen, ich bin der Tommy!«, duzte Herr Kippel in seiner ersten Stunde vergeblich am Humorverständnis der Vollpubertisten vorbei. Damit brach er das Erste Gebot. Schüler wollen Lehrer nicht duzen, die Distanz, die Lehrer für sich beanspruchen, ist durchaus beidseitig gewünscht, anders fällt das Lästern über die Fehler der Lehrer, schlechte Noten und empfundene Unfairness viel zu schwer. Auch der angedeutete »Highfive« mit der ersten Stuhlreihe, der von niemandem erwidert wurde, war peinlicher, als in die Dampfsauna zu kacken. Herr Kippel versuchte dies jedoch umgehend durch eine noch erbärmlichere Geste gutzumachen und zeigte uns das Peace-Zeichen. Das Peace-Zeichen! Herr Kippel war Mitte vierzig, trug einen Haarkranz, Hawaiihemden, kurze Hosen oder ein T-Shirt mit dem ausgeblichenen Logo von
Roxette
. Er war so nah am Puls der Zeit wie die englische Monarchie. Und jetzt auch noch das »Du«. Was anheimelnd und menschlich wirken sollte, wirkte verzweifelt und unecht.
Regel Nummer 2: Nicht auf jede Diskussion einlassen
Dass Herr Kippel auch noch »Pädagogik« unterrichtete, war der letzte Nagel in seinem Sarg. Ein Fach, das von einem Großteil des Klassenkörpers als »Pussykram« bezeichnet wurde, denn manche Mitschüler vertraten in Erziehungsfragen eher reaktionäre Thesen, was Rene Maurer mal mit der schönen Aussage zusammenfasste: »Immer montags kriegen meine Blagen auffe Schnauze.«
»Aber du hast doch noch gar keine Kinder, oder?«, fragte Herr Kippel und outete sich damit ein zweites Mal, denn in Gelsenkirchen verbot sich diese Frage gegenüber einem Vierzehnjährigen, hier hatten manche in dem Alter schon die zweite Scheidung hinter sich.
»Nö, aber wennse kommen, kriegense montags«, philosophierte Rene weiter gegen jede pädagogische Verantwortung an.
»Und warum gerade montags?«, versuchte Herr Kippel dem großmäuligen Schwachsinn mit Diskurs beizukommen.
»Für alles, wasse inne nächste Woche verbrechen«, argumentierte Rene und lachte.
»Das kannst du doch nicht mit deinem Gewissen verantworten!«, echauffierte sich der Du-Typ Tommy, auf dessen Pädagogenwangen sich erste rote Spannungsflecken bildeten.
»Doch. Besser Vorsorge als nachher Sorgen, ne?«, erwiderte Rene. »Und wennse dann nich hören, halt ich die Fäuste hin und sach: Die Linke riecht nach Krankenhaus, die Rechte riecht nach Friedhof. Dann haltenses Maul, feddisch!«, baute er sein pädagogisches Konzept aus.
»Aber Rene, das würdest du doch nie tun«, versuchte es Tommy abermals mit einer pädagogischen Wunderwaffe. Spätestens hier hätte in der wirklichen Welt jede Diskussion geendet. Nicht aber im Pädagogikunterricht:
»Klar, aufs Maul, sag ich.«
»Ach Quatsch.«
»Ich schwöa, Herr Kippel.«
»Tommy, ich bin der Tommy.«
Regel Nummer 3: Jugendkultur bleibt Jugendkultur
Generationsunterschiede bilden eine natürliche Grenze zwischen den Altersgruppen. Ähnlich wie Erwachsene Kinder nicht ernst nehmen, die versuchen, die Gepflogenheiten der Erwachsenenwelt zu imitieren, und dabei zum Beispiel übertrieben höflich Handküsse verteilen, nehmen Kinder Erwachsene nicht ernst, die mit Hawaiihemden und
Roxette
-T-Shirts auftrumpfen wollen. Das war unter den Jungs in meinem Alter ungefähr so hip wie Kniestrümpfe oder Dressurreiten.
Auch wenn »Tommy« immer wieder versuchte, unsere Unterrichtsstunden mit aktuellen Themen und Trends zu würzen, vergriff er sich dabei leider im Jahrzehnt. So zum Beispiel, als er der Klasse vorschlug, den Inhalt von Pink Floyds »Another Brick in the Wall« auf pädagogische Konzepte hin zu untersuchen. Dazu zeigte er uns das weltbekannte Video mit der Industrieästhetik und den marschierenden Hämmern.
»Was meint ihr, was das hier ist?«, fragte er, um allen Assoziationen
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