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Lebenselixier

Lebenselixier

Titel: Lebenselixier
Autoren: Monika Bender
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eng zusammengekniffenen Lidern versuchte Tony die Decke
nach einer Überwachungskamera abzusuchen, was hoffnungslos war. Sie sah nur
noch gleißende Flächen und etwas dunklere Schatten. Ihre eigene Haut begann
sich wund anzufühlen. Ihre Augen brannten und in ihren Schläfen hämmerte es
gnadenlos.
    „Es funktioniert
nicht“, flüsterte sie in Lukas angespannt zuckende Ohrmuschel. „Was, wenn sie
warten wollen, bis ihr tot seid?“
„Ich höre sie“, raunte ihr Gefährte. „Direkt vor der Tür. Sie sind sich
uneinig. Ich verstehe keine einzelnen Worte.“
    Dann ging alles
so schnell, dass sie vor Schreck laut aufschrie. Die Tür flog auf und im selben
Augenblick standen Lukas und Jan zwischen den Angreifern und ihren Gefährten.
In der rechten Hand ein Messer, in der linken die Pistolen, hielten die beiden
Bluttrinker sich nicht mehr zurück.
Schüsse hallten von den engen Wänden wieder wie Trommelfeuer. Tony rollte sich
am Boden zusammen, versuchte, möglichst wenig Angriffsfläche zu bieten.
Kugeln schlugen in die Wände, ein Querschläger heulte knapp an ihrem Ohr
vorbei.
    Jan und Lukas
feuerten blind und auch die Angreifer konnten gewiss nicht übermäßig gut sehen.
Tony hörte eine Männerstimme, dumpfe Schmerzenslaute, und ging davon aus, dass
zumindest einer der Sterblichen getroffen sein musste. Dann vernahm sie, direkt
neben sich, ein unterdrücktes Keuchen. Thomas fluchte leise.
„Thomas?“, zischte sie. Sie traute sich nicht laut zu sprechen, kaum, sich zu
bewegen. Irgendetwas regnete auf sie herab. Putzbrocken? Glasscherben?
Der Lärm der Kugeln verstummte. Wahrscheinlich waren alle Magazine
leergeschossen. Die relative Stille hallte beängstigend in ihren durch die
Schüsse tauben Ohren.
Direkt bei der Tür entdeckte sie zwei dunkle Haufen. Reglose Körper. Jemand
drängte in den Flur, stieg über die Hindernisse hinweg.
Lukas - es konnte nur Lukas sein - stand noch auf seinen Füßen und wehrte zwei
Männer ab, die ihn mit Messern angriffen. Die Gestalt, die ihm den Rücken
deckte, war Jan. Er hielt einen weiteren Angreifer auf Distanz.
    Thomas hockte nur
einen Schritt von ihr entfernt und umklammerte seinen Oberschenkel. Hellrotes
Blut quoll unter seiner Hand hervor. Sie kroch auf ihn zu.
„Nimm das Messer“, verlangte der Gefährte. „Das Messer!“
Tony sah sich um. Ein schmaler Dolch lag knapp hinter den Füßen von Jans
Gegner. Einer der Angreifer musste ihn fallen gelassen haben. Tony grapschte
danach.
„Ich brauche einen Ärmel! Von meinem Hemd!“ Tony erstarrte. Sie war
splitternackt unter diesem Hemd!
Sie alle würden sterben, wahrscheinlich innerhalb der nächsten Minuten. War es
egal, ob sie nackt starb? War es selbstsüchtig, wenn sie ihre Mörder nicht auf
die Idee bringen wollte, sie zu vergewaltigen, bevor sie sie töteten? Würde das
bisschen Stoff überhaupt einen Unterschied machen? Musste Thomas sterben, weil
sie das Hemd nicht ausziehen wollte, das er ihr großzügig überlassen hatte?
Die Gedanken huschten durch Tonys Kopf. Keinem gelang es sich festzusetzen. Am
Ende blieb: Sie brachte es nicht über sich, sich auszuziehen!
    „Du brauchst es
nicht auszuziehen.“ Erstaunt registrierte sie, dass er ihr Problem verstand.
„Ich schneide nur den Ärmel ab.“
Okay, damit konnte sie leben. Oder sterben. Mit einem ärmellosen Hemd.
Tony kroch näher. Thomas nahm ihr das Messer aus der Hand. Sie ließ es gerne
los. Sie hatte viele Messer in Händen gehalten. Zum Gemüse schnippeln, Kräuter
wiegen, womöglich sogar um das Fleisch toter Tiere zu schneiden. Doch dieses
Messer war da, um Menschen zu verletzen. Es schien ihr, als stecke diese
Absicht in jedem Molekül, aus dem es bestand.
    Thomas kämpfte
sich keuchend in eine aufrechtere Position. Mit der Spitze des Messers stach er
die Naht an den Achseln auf. Wenige Schnitte und er zerrte den Ärmel herunter.
Thomas drehte die Stoffröhre, bis sie beinahe wie ein Seil aussah, und wickelte
sie um sein Bein, Zentimeter über der Wunde. Das Blut quoll in stetem Rhythmus
aus dem zerfetzten Loch in seiner Jeans hervor. Es musste ein Querschläger
gewesen sein, der ihn getroffen hatte. Er zog die Enden des Ärmels zusammen.
Sein Stöhnen ging Tony durch Mark und Bein. Seine Hände zitterten, waren nicht
mehr fähig, den Stoff zu halten.
Tony blickte in das aschfahle Gesicht, erkannte seine krampfhaften Bewegungen
als trockenes Würgen.
Sie rang ihre eigene Übelkeit nieder und ergriff die Enden des Hemdstoffs, zog
ihn so fest
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