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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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Society-Soubrette hat einen Nasenbeinbruch erlitten, lese ich. Sie empfängt bereits Journalisten. Eh klar. Die würde noch auf ihrem Sterbebett Journalisten empfangen. Genau das ist ihr Job. Nasenkorrektur auf Krankenschein, der Eingriff wird sie nicht schrecken, sie war sicher schon oft genug unter dem Messer. Mira, sei nicht so böse, nur weil man böse zu dir ist. – Wer ist böse zu dir? Unsinn. Der Chef eines Verlages, der auf Heimatbücher spezialisiert ist, hat innere Verletzungen unbestimmten Grades erlitten. „Er ringt mit dem Tod“, kann ich in den Agenturmeldungen lesen. Der Attentäter habe von einem nicht registrierten Wertkartentelefon aus angerufen. – Ist einer ein Attentäter, auch wenn er bloß mit einem Attentat droht? Der Wortlaut der Drohung wurde noch nicht veröffentlicht. Man spekuliert über den Akzent des Anrufers, und ob er überhaupt einen gehabt hat. Die Stimme sei jedenfalls hinreichend verzerrt gewesen. Weiß heute schon jedes Kind, dass Stimmanalysen sonst ziemlich einfach sind. Sieht man jede Woche im Fernsehen. Die rechte Opposition kritisiert, dass das Wiener Rathaus vor lauter Fremdenfreundlichkeit auf die einfachsten Sicherheitsmaßnahmen vergessen habe. Wie sichert man sich gegen einen Anruf? Angeblich sind in der Nähe des Rathauses verschleierte Frauen gesehen worden. Das kommt in Wien vor, wenn auch nicht sehr häufig. Was hätte man tun sollen? Sie als grundsätzlich verdächtig festnehmen?
    Ich klicke zurück zu den ersten Meldungen von gestern Abend. Foto vom Bürgermeister mit dem Mikro in der Hand, die Tische vor ihm sind bereits leer. Er sieht aus wie ein unglücklicher Alleinunterhalter, dem das Publikum davongelaufen ist.
    „Überlebt?“, fragt eine Stimme.
    Ich zucke zusammen. Droch. Chef des Politikressorts, einer der wenigen wirklich angesehenen Journalisten des „Magazin“. Seit Jahrzehnten im Rollstuhl. Hat etwas mit einem Kriegsberichterstattereinsatz in Vietnam zu tun. Die Details kennen wenige. Mir hat er sie in einer schwachen Stunde erzählt. Er hat wenige schwache Stunden, und wenn, würde er es nicht zugeben. Ich mag ihn. Auch wenn wir über beinahe alles im Leben unterschiedlicher Ansicht sind. Ihm kann ich vertrauen. Was mehr kann man von einem Menschen sagen? „Oskar hat eine Tochter“, sage ich, statt über die Bombendrohung zu reden.
    „Wie hast du es rausgefunden?“, fragt er und rollt näher.
    „Sie war in seiner Wohnung. Gestern Abend. Er hat bis dahin auch nichts von ihr gewusst. Sagt er.“
    „Glaubst du ihm?“
    „Eigentlich ja. Aber das ist nicht das Problem.“
    Droch versucht, verständnisvoll zu nicken. Er tätschelt meine Hand. Offen liebevolle Gesten sind bei ihm selten. Gleich beginne ich zu weinen.
    „In ein paar Minuten ist Redaktionssitzung“, sagt er. „Vergiss die Tochter. Das Rathaus wäre beinahe in die Luft geflogen.“
    Ich schlucke und versuche ein Grinsen und stehe auf. „Ist es aber nicht. Du glaubst sicher auch an Terroristen?“ Ich hab noch eine andere Idee. „Was, wenn es mit der Wirtschaftskrise zu tun hat? Irgendein Verleger, der vor der Pleite steht und die Schuld dem Literaturbetrieb gibt?“
    „Pass auf, dass nicht wieder einmal die Fantasie mit dir durchgeht. Mit Spekulation ist es da nicht getan.“ Dann grinst Droch zurück. „Vielleicht wollte irgendein Autor endlich wissen, was Action ist.“
    „Typisch, dass Sie dort waren“, sagt der Chronikchef, als ich das Sitzungszimmer betrete. Es klingt so, als hätte ich die Panik ausgelöst. Die Ressortleiter sind schon um den großen ovalen Tisch versammelt. Ich versuche, nicht wütend zu werden. Ich kann den Typen nicht ausstehen. Ich sehe aus dem Fenster. Wien im Sonnenlicht. Ausblick über die Innenstadt. Das Rathaus ist zu weit weg.
    „Typisch, dass Sie nicht dort waren“, erwidere ich und habe ein paar Lacher auf meiner Seite. So obenauf bleibe ich allerdings nicht. Ich muss mich rechtfertigen, warum ich nicht mehr Interviews gemacht habe, während der Flucht mit dem Bürgermeister keine Fotos geschossen habe, mit ihm nur ein paar Worte gewechselt habe. Der Chefredakteur schlägt vor, unsere gemeinsame Flucht durch die Gänge des Rathauses zu bringen. Man könne die leeren Gänge nachfotografieren, vielleicht mit mir, gehetzt, Angst in den Augen. Ich sehe den Chefredakteur empört an. „Wir stellen keine Fotos! Ich dachte, du wärst an seriösem …“
    Er fällt mir ins Wort. „Seriös heißt nicht langweilig. Wir sind hinterher. Die
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