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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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das Gehen zu klareren Gedanken verhilft. Die Redaktionssitzung ist erst um elf, ich habe also noch Zeit genug, alle Pressemeldungen zur Bombendrohung nachzulesen. Das „Blatt“, die größte, wenn auch nicht gerade seriöseste Zeitung des Landes, hat sicher mutiert und noch in der Nacht eine neue Ausgabe auf den Markt geworfen. Ich komme an einem Zeitungsstand vorbei. Auf der ersten Seite des „Blatt“ steht in dicken schwarzen Lettern: „Horror im Wiener Rathaus“, und darunter, kaum kleiner: „Terror in Österreich!“ Ich kann mir nicht vorstellen, dass die vom „Blatt“ viel mehr wissen als ich. Natürlich, sie sind dran geblieben und nicht schlafen gegangen. Ist wohl keine von ihnen der erwachsenen Tochter ihres Mannes begegnet. Geht auch schwer, dort gibt es fast nur männliche Mitarbeiter. Und eine Frau, die behaupten kann, sie habe bis zum heutigen Tag nicht gewusst, eine inzwischen sechsundzwanzigjährige Tochter zu haben, die gibt es nicht. Schon wieder ein Vorteil für die Männer. Sie können von solchen Familienverhältnissen spät oder auch gar nie erfahren.
    Ich gehe in unseren Turm aus Beton und Glas, an der Fassade der Werbespruch: „Lesen Sie das!“ Auch nicht eben zurückhaltend, das „Magazin“. Aber im Vergleich zum „Blatt“ ordentlicher Journalismus. Was noch nicht viel sagt. Ich nicke Uschi an der Rezeption zu, bemerke erstaunt, dass es jetzt auch hellgrünen Nagellack gibt, eile zum Lift. Je weniger Leute mich ansprechen, desto besser. Die meisten werden nicht wissen, dass ich auf der Gala war. Ich muss erst nachlesen, meine Gedanken ordnen, endlich die Eindrücke des gestrigen Abends niederschreiben. Ich steige aus dem Lift.
    „Wo hast du gesteckt?“, fragt mich Klaus. Er ist seit mehr als einem Jahr Chefredakteur, zuvor war er ein bekannter TV-Journalist. Nach anfänglichen Schwierigkeiten verstehe ich mich ganz gut mit ihm. Viel besser jedenfalls als mit seinem Vorgänger.
    „Ich … war daheim. Es ist erst neun.“ Eigentlich gibt es keinen Grund, sich zu rechtfertigen.
    „Du warst auf der Gala, was weißt du?“
    „Es sind zwei Leute von der Chronik gekommen, und der diensthabende Fotograf war sowieso gleich da“, murmle ich. Es klingt wie eine Entschuldigung. Mist.
    „Du bist wirklich heimgefahren? Wir dachten, du recherchierst. Du hattest irgendeinen Draht und bist deshalb vom Rathausplatz verschwunden.“ Er sieht mich vorwurfsvoll an.
    Könnte ich nicht so etwas behaupten? Ich hebe mein Kinn. „Ich war privat dort. Ich hab einige Interviews gemacht. Dann bin ich gegangen.“
    „Du bist Chefreporterin. Und das ist die größte Story seit Monaten.“
    „Es war … falscher Alarm“, rechtfertige ich mich matt.
    „Es war zumindest eine ernst zu nehmende Drohung. Es hat zehn Verletzte gegeben. Einer ringt mit dem Tod.“
    Ich seufze. „Wir haben noch drei Tage bis Redaktionsschluss. Ich werde recherchieren. Natürlich werde ich das.“
    „Wie bist du übrigens rausgekommen? Dir ist nichts passiert, oder?“
    Ich schüttle den Kopf. „Mit dem Bürgermeister und einigen anderen. Die Securityleute haben uns gelotst. Dort war kein Gedränge, nur enorm viele Gänge und Stiegen. Ich hatte keine Ahnung, wie weitläufig das Rathaus ist.“
    Der Chefredakteur sieht zufrieden aus. „Na das ist ja schon was. Ich wusste es doch. Du hast mit ihm auf der Flucht gesprochen?“
    Ich schüttle den Kopf. „Bitte lass mir eine Stunde Zeit. Wenn man mittendrin ist, sieht man weniger, als man glaubt. Ich muss nachlesen. Und meine Gedanken sammeln.“
    „Wir haben die Redaktionssitzung vorverlegt. Sie geht in zehn Minuten los. Ich hab dir eine SMS geschickt.“
    Ich ziehe mein Mobiltelefon aus der großen Umhängetasche. Ich habe nicht auf neue Nachrichten geachtet. Da ist sie. „Okay“, sage ich und trabe durch das Großraumbüro hin zu meiner durch Grünpflanzen abgeschirmten Ecke. Es ist völlig klar: Alle, die bereits da sind, wissen, dass ich im Rathaus war. Im „Horror“ vom Rathaus. Ich schiebe zwei Riesenphilodendronblätter zur Seite, lasse mich auf meinen Schreibtischsessel fallen, starte endlich den Computer. Während er hochfährt, denke ich immer wieder an Carmen. Und an ihre Mutter. Mit der Oskar vor siebenundzwanzig Jahren zusammen war. Sie hat ihn verlassen. Vielleicht hat er mehr darunter gelitten, als er zugibt? Ob sie auch so hübsch ist wie ihre Tochter? Oskar wird heuer fünfzig. Damals war er also dreiundzwanzig. Und gerade fertig mit dem Studium. Die
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