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Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi

Titel: Leben lassen - ein Mira-Valensky-Krimi
Autoren: Wien/Bozen Folio Verlag
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sein, um so was zu machen.“
    „Und wenn es wirklich eine Bombe war?“
    Vesna seufzt. „Dann wäre Rathaus schon in die Luft geflogen.“
    „Sie haben gleich wieder von internationalem Terror geredet“, erzähle ich.
    „Das ist auch eine Möglichkeit. Das ist jetzt immer Möglichkeit.“
    „Nicht in Wien, nicht im Rathaus“, widerspreche ich.
    „Ich habe nichts gegen Moslems, habe ich mit ihnen gelebt in Bosnien, oft hast du gar nicht gewusst, wer zu welcher Religion gehört, die meisten sind nicht mehr gläubig. Ist wie da. Aber Fanatiker gibt es. Ich bin nicht naiv wie du“, antwortet meine Freundin.
    Herzlichen Dank auch. „Ich muss noch mit der Redaktion telefonieren.“
    „Jetzt bist du beleidigt, wollte ich nicht, glaube ja auch eher an einen Buchmensch.“
    „Ich bin nur müde. Ich weiß nicht. Seltsam ist so etwas schon.“ Ich denke an die Schreie und das Drängen, und wie schnell jede Form von Höflichkeit und Rücksichtnahme verschwindet, wenn es ums eigene Leben zu gehen scheint.
    „Wir hören uns morgen, Mira Valensky. Trink großen irischen Whiskey und dann schlafe gut.“
    Ich telefoniere kurz mit der Redaktion, kein Problem, man habe bereits zwei Leute vor Ort. Ich kann morgen zusammenschreiben, was ich erlebt habe. Nicht schlecht für einen Bericht, live dabei gewesen zu sein. Auch wenn er ein wenig spät erscheint. Meine Kurzinterviews habe ich mit dem Mobiltelefon mitgeschnitten. Ich gehe schneller. Mir ist kalt in meiner dünnen schwarzen Samtjacke, ich zittere. Ist es wirklich die Kälte? Was sonst. Ich sehne mich nach Oskar. Seltsam, dass er sich noch nicht gemeldet hat. Er ist einer, der regelmäßig die Fernsehnachrichten aufdreht. Eigentlich wollte er daheim sein. Ich sollte doch noch heute Abend alles in den Laptop schreiben. Wahrscheinlich die beste Art, mit dem Erlebten umzugehen. Ich schließe die Haustür auf, rufe den Lift. Zu meiner Altbauwohnung gibt es nach wie vor keinen Aufzug. Zu wenige Mieter und Eigentümer, die ihn mitfinanzieren würden. – Der Bürgermeister als Kapitän auf dem sinkenden Schiff. Sie haben ihm das Mikrofon weggenommen. Der Krach, mit dem es zu Boden ging. Wie viele aufgeschrien haben. Ich sperre die Wohnungstür auf und denke erst im Vorzimmer daran, dass ich üblicherweise zur Ankündigung läute. Nicht weil ich hier nicht zu Hause wäre. Oskar tut es auch. Ich hab es von ihm übernommen. Eine subtile Form von Höflichkeit, auch seinen Ehepartner nicht zu überfallen.
    Ich trabe in den großen, offenen Raum, Wohnzimmer und Arbeitszimmer und Esszimmer und Küche in einem. Oskar sitzt am Tisch. Er ist nicht allein. Neben ihm sitzt eine junge Frau mit blonden kurz geschnittenen Haaren. Die beiden lachen. Es ist erst etwas nach zehn. Vor Mitternacht hat er mich sicher nicht zurückerwartet. Sie drehen sich ertappt zu mir um.
    „Hallo“, sage ich und versuche, souverän zu wirken.
    Oskar steht auf und räuspert sich. „Hallo. Das ist Carmen. Meine … Tochter.“

[ 2. ]
    Ich sehe irritiert von Oskar zu dieser Carmen und wieder zurück.
    „Hallo“, sagt Carmen und versucht ein Lächeln. Sie ist ausgesprochen attraktiv. Schlank und blond, Mitte zwanzig.
    „Ich hab’s nicht gewusst“, sagt Oskar und sieht mich seltsam ausdruckslos an.
    Irgendwie ist das alles zu viel für mich. Im Hirn ein Vakuum.
    „Dann unterhaltet euch mal schön“, sage ich und weiß nicht, was ich glauben soll. Dass Oskar wirklich eine Tochter hat? Plötzlich? Ohne etwas davon gewusst zu haben? Oder hat er bloß nicht gewusst, dass sie auftaucht? Warum hat er mir nie davon erzählt? Was weiß ich sonst noch nicht über ihn? Ich trotte zum Schlafzimmer. Ich hab für heute einfach genug. Keine Kraft mehr. Bombe daheim. Wann kennt man jemanden wirklich? Mein Oskar hat eine Tochter. Wenn es stimmt. Und was, wenn ihm in der Sekunde nur nichts Besseres eingefallen ist? Vielleicht ist sie eine neue Konzipientin? Ich stelle mich unter die Dusche. Es nützt nichts. Gedanken wie in Zeitlupe. Bilder. Weis, wie er mitten im Chaos steht und ausnahmsweise nicht lächelt. Der erste Schrei. Tier in Todesnot. Getrampel. Carmens „Hallo“. Die blutroten Krimiautorinnen. Das beleuchtete Rathaus vom Burgtheater aus. Hundert Meter ist es hoch. Carmen ist groß. Größer als ich. Oskar ist eins fünfundneunzig. Die Butter auf den runden Tischen im Rathaussaal ist inzwischen sicher zur Gänze geschmolzen. Butterfettpfützen. Was passiert mit dem Buffet? Es wird alles stehen geblieben sein
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