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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag
Autoren: Elisabeth Rapp
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einnehmen. Heiß bläst der Fahrtwind in Noras Gesicht, als Schuhmacher vom Radweg auf die Straße schanzt. Ein Autofahrer schreit: »Dich sollte man …«, aus dem Fenster. Was auch immer er meint, er hat recht, und Nora wünscht sich, er würde es in die Tat umsetzen.
    Es wird frischer, als Schuhmacher durch die baumgesäumte Parallelstraße zur Elbchaussee düst. Fünfundvierzig Minuten gibt sie ihm, und wenn er dann nicht kapiert, was in der Arbeit abgefragt werden wird, hat er Pech gehabt. Jetzt brüllt er was. Klingt wie: geiler … Scooter … frisiert … echt … schön … Der Sturzhelm ist zu groß, der Riemen scheuert an Noras Kinn, und sie hat keine Bereitschaft, etwas zum Thema beizutragen.
    Schuhmacher knattert durch Seitenstraßen und legt sich in die Kurven. Noras Abscheu ihm gegenüber wächst proportional zur Größe der Gärten zwischen den Häusern. Ihr wird blümeranter, die Umgebung blumiger. Im Vergleich zum Kiez ist es ländlich hier. Erst als rechts der Botanische Garten auftaucht, kann sie sich wieder orientieren. Sekunden währt ihre Erleichterung, bis Schuhmacher seine Maschine nach links zieht, über den Gehweg bis zur S-Bahn-Haltestelle Klein Flottbek brettert
und vor fünf Kerlen zum Stehen kommt, die im gleichen luftigen Freizeitstil gekleidet sind wie er. In ihrem Viertel würden sie als Touristen durchgehen und vor Noras Wohnblock neidlose Lachsalven auslösen.
    »Ey, Alter, was geht?«
    Schuhmacher grinst nur und füllt sein Schweigen mit Bedeutung, die sich Nora nicht erschließt. Sie zerrt wütend ihr Kleid unter seinem Hintern vor und über ihre Schenkel.
    »Nora, vom Sound Club«, formvollendet, mit leichter Drehung des Oberkörpers stellt Mick sie vor und dann: »Paul, Joe, Dick, Jan, Loop.«
    So heißen die also. Nora löst den Scheuerriemen und nimmt den Helm ab. Angeklatschte Haare machen unter diesen Umständen nichts. Sie geht jetzt rüber zur Bahn und fährt heim.
    »Du machst den UA -Club?«
    Acht us am ungläubigen Du. Für jeden einsilbigen Spitznamen eins, für Schuhmacher drei. Langsam schnallt Nora die Absicht hinter der kurvenreichen Tour durch die noble Gemeinde und dem Schwatz mit Kumpels. Der Schuhmacher will ein bisschen angeben, dass er eine aus dem Milieu kennt, eine Vertreterin der Subkultur auf dem Sozius sitzen hat. Er will, dass sich das rumspricht. Jeden Dienstag veranstaltet sie im Club für Vierzehn- bis Achtzehnjährige Underage-Partys. Den mittlerweile berühmten UA -Club. Das hat ihr in der Szene einen gewissen Respekt eingebracht und Mehmet als DJ Çay bekannt gemacht. So weit, so gut, aber das da ist nicht in ihrem Sinne. Und erst recht nicht, dass Schuhmacher sie am Knie packt, als sie absteigen will.
    »Ich hätte auf Schlammcatchen getippt.« Dick grinst auf ihre dreckigen Turnschuhe runter und dann an ihrem Bein hoch.
»Wir gehen grillen am Pool. Komm mit. Ich kann dich mit dem Schlauch abspritzen.« Anzügliches Gelächter.
    Der Griff an ihrem Knie wird fester, je mehr sie daran zerrt.
    »Lass los, Schuhmacher!« Sie haut ihm auf den Rücken.
    »Leute, wir müssen. Sie gibt mir Nachhilfe.«
    Gewieher. Es ruckelt beim Anfahren. Nora krallt sich mit beiden Händen an seinem Hemd fest, und der Helm kracht auf den Boden.
    »Nimm ihn mit, Dick! Wir holen ihn nachher!«, brüllt Schuhmacher zurück.
    Nora kann sich nur noch festhalten und sich den Weg einprägen. Geradeaus, links, links, Vollbremsung. Nora springt ab und stapft los.
    »Ey, Nora, du kannst doch jetzt nicht abhauen. Ich muss den Stoff ins Hirn kriegen, sonst bin ich erledigt.« Er wetzt hinter ihr her.
    »Nein.«
    »Mein Alter nimmt mir den Roller ab und stopft mich ins Internat!«
    »Hol dir ’ne Lebensmittelvergiftung und schreib die Arbeit nach.« Schade um den Tipp. Bei dem Typ.
    »Bitte. Ich zahl dreißig. Ich kann nicht mehr blaumachen.«
    »Geh grillen.«
    »Wenn meine Mutter vom Golfen kommt und ich sitz nicht am Schreibtisch und lerne, bin ich geliefert.«
    Nora schiebt ihn weg. »Fahr ’ne Runde Roller mit ihr, und sie verzeiht dir alles.«
    »Ich bin bloß so schnell gefahren, damit uns der Fahrtwind abkühlt. Bitte.« Schuhmacher stellt sich ihr wieder in den Weg und macht ein Schnütchen.

    Nora sagt: »Ich bin nicht abgekühlt.«
    »Tut mir leid, Nora.«
    »Vierzig Minuten. Dreißig Euro.«
    Sie gibt sich Mühe trotz 0,0 Motivation. Das ist mehr, als er hat. Nora heftet ihren Blick auf das Physikbuch, erklärt und lässt ihn schwitzen. Nach einer halben Stunde
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