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Leben bis zum Anschlag

Leben bis zum Anschlag

Titel: Leben bis zum Anschlag
Autoren: Elisabeth Rapp
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sie der sogenannte Kick eher mit Todesangst gleichzusetzen ist. Da steht sie gar nicht drauf. Nachdem die Steuerprüferin das schmale Arbeitszimmer, Noras Exzimmer und aktuelle Hall of Fame von Elvis the Pelvis, verlassen hat, kann sie ihre Vervielfältigungsgeräte wieder installieren. Eigentlich ist Nora der Steuerbeamtin dankbar, denn sie ist nicht nur mit Yolandas Steuerunterlagen, die sie treffend als »Loseblattsammlung« bezeichnet hat, abgezogen. Allein das übersichtlichere Chaos auf der Arbeitsfläche macht Nora die Tonträgerproduktion der U A - DJ - Çay - Vol. 7 leichter. Die Arbeit geht schneller von der Hand, wenn man Platz hat. Die Steuerfrau ist Elvis-Fan und hat sich Wackelpuppen, Modelle, Roboter im Umfang von dreihundert Euro ins Auto gepackt. Yolanda hofft auf ein mildes Urteil, denn sie hat nicht gewusst, dass sie die Mehrwertsteuer ans Finanzamt zahlen muss.
    Nora lässt sich zurück ins Gras fallen. Seitdem sie nur noch im Park und nur noch zu bestimmten Zeiten ihren Sound-Dealereien nachgeht, läuft das Geschäft entspannter und konzentrierter. Sie summt vergnügt. Ausverkauft. Es ist das erste Mal in dieser
Woche der Gewaltexzesse, dass Nora vor Glück quietschen könnte. Im Gras hat sie in bisher kürzester Zeit die meisten Scheiben verkauft. Ihr Lied ist der Grund, dass alle so versessen darauf sind, das sagen sie zumindest. Und als Vol. 7 alle war, sind auch noch die restlichen 6er weggegangen
    »Hast du Gras gefressen? Du siehst so zufrieden aus.«
    »Muuh«, muht Nora und lässt die Zunge aus dem Maul hängen.
    Keath streckt sich neben ihr ins Gras, und Nora knöpft sein Hemd auf und schleckt genüsslich an seiner Brust.
     
    Gedankenverloren radelt Mehmet durch den Park in Richtung Heimat und nimmt kaum wahr, was um ihn herum los ist. Sein düsteres Gefühl sagt ihm: Nichts ist, wie es sein soll. Die Pitbull-Glatzen, daran zweifelt er keine Sekunde, machen alles kaputt, was ihm wichtig ist. Wenn Leif schon jetzt verkauft, kann er einpacken. Er hat noch nicht genug Geld gespart, um Leif den Club abzukaufen, von der Bank kriegt er nichts und von Arslan Gencer wird er sich nichts leihen. Alles hat Mehmet auf die Club-Karte gesetzt, abgesehen von seinem beknackten Praktikum, wo seine Blödheit durch nichts zu toppen war, weil er für umsonst und leere Versprechungen ein halbes Jahr richtig hart geackert hat. Es hat ihm keinen Ausbildungsplatz in dem Tonstudio eingebracht. Alle, vor allem sein Vater, wussten das schon vorher, bloß er nicht. Seine derzeitige klare Perspektive hat er Noras damaligem Vorschlag zu verdanken: Wir machen einen eigenen Club auf. Und ein Tonstudio gleich dazu.
    Wenn Leif verkauft, trifft das hauptsächlich ihn. Er ist am längsten dabei. Dali kann es im Grunde völlig egal sein und Maika kriegt in jeder Bar einen Tresenjob. Nora und Keath …

    Die Bremsen jaulen auf, Kies knirscht unter den Reifen und Mehmet rast auf den Abfallkorb zu. Als hätte er sie in Gedanken herbeibeschworen, liegen die beiden direkt vor ihm in kurzen Hosen im Gras. Keath in seiner vollen Länge von zwanzig Metern, zufrieden und unglaublich schön. Das sieht selbst ein nicht schwuler Kerl in einer Nanosekunde. Noras Kopf ruht auf seinem basketballfeldgroßen Brustkorb und ihr schmales, nacktes Bein lagert sehr vertraut auf seinem gewaltigen Oberschenkel. Keath streichelt es. Mehmet hört sie lachen, sein Rad schlingert haarscharf am Müll vorbei, nur mit der Außenwade streift er noch den klebrigen Abfallkorb. Die Wespe, die er zerquetscht, spürt er nicht. Doch bevor sie – in Einzelteile zerlegt – in die ewigen Jagdgründe eingeht, haut sie ihm ihren Stachel zwischen die dichten Beinhaare ins Fleisch, und Mehmet beißt die Zähne zusammen. Ihm wird schlecht von dem brennenden Schmerz, er denkt, er hätte sich die Wade aufgerissen. Mehmet verlässt den Radweg, fährt geradewegs auf die Wiese und hofft, dass die beiden ihn nicht …
    »Hi, Mehmet! Wir sind hier!« Nora richtet sich auf und winkt.
     
    Durch die Zwangspause hat Maika Zeit zum Nachdenken und kommt genau in der Sekunde zu dem Schluss, dass sich ihr Leben radikal ändern muss, als Anja die Augen aufschlägt.
    »Maika, hol mir was zu trinken.«
    »Da steht eine ganze Kanne Tee und eine Flasche Wasser.«
    »Geh runter zum Kiosk, bitte.«
    »Weißt du, wie oft ich schon hier war?«
    »Maika, bitte, ich weiß nicht …«
    »Weißt du überhaupt, wie lange du schon hier bist?«
    »Ein paar …«

    »Eine komplette Woche
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