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Leb wohl! (German Edition)

Leb wohl! (German Edition)

Titel: Leb wohl! (German Edition)
Autoren: Honoré de Balzac
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gehen; ich ziehe es vor, trotz dem Gewitter hier auf das Pferd zu warten, das Sie mir aus dem Schloß schicken werden. Sie haben sich über mich lustig gemacht, Sucy. Wir wollten eine hübsche kleine Jagdpartie unternehmen, ohne uns von Cassan zu entfernen; wir wollten die Felder durchstöbern, die ich kenne. Bah, statt uns zu amüsieren, haben Sie mich seit vier Uhr morgens wie einen Windhund umhergehetzt. Und zum Frühstück haben wir nichts gehabt als zwei Tassen Milch! Ah, wenn Sie jemals einen Prozeß bei unserm Gerichtshof anhängig machen, so werde ich dafür sorgen, daß Sie ihn verlieren, und wären Sie hundertmal im Recht.« Der entmutigte Jäger setzte sich auf einen der Marksteine, die am Fuße des Wegweisers standen, warf seine Flinte sowie seine leere Jagdtasche zu Boden und seufzte tief auf. »Frankreich, das sind deine Volksvertreter!« rief lachend Oberst von Sucy. »Ach, mein armer d'Albon, hätten Sie wie ich sechs Jahre im tiefsten Sibirien gesteckt ...« Er beendete seinen Satz nicht und hob die Augen gen Himmel, als wären seine Leiden ein Geheimnis zwischen Gott und ihm. »Auf, vorwärts!« fügte er hinzu; »wenn Sie sitzen bleiben, so sind sie verloren.« »Was wollen Sie, Philipp! Es ist die alte Richtergewohnheit! Übrigens bin ich am Ende meiner Kräfte! Wenn ich wenigstens noch einen Hasen geschossen hätte!«
    Die beiden Jäger stellten einen seltenen Gegensatz dar. Der Richter war zweiundvierzig Jahre alt und sah aus, als wäre er noch nicht dreißig, während der Offizier, der dreißig war, mindestens vierzig zu sein schien. Beide trugen die rote Rosette, das Abzeichen der Offiziere der Ehrenlegion. Unter der Mütze des Obersten stahlen sich ein paar Haarsträhnen hervor, in denen wie im Flügel einer Elster Weiß und Schwarz gemischt war; die Schläfen des Richters prangten in schönen blonden Locken. Der eine war hochgewachsen, trocken, hager, nervig, und die Runzeln seines Gesichts verrieten schreckliche Leidenschaften oder furchtbares Unglück; das Gesicht des andern strahlte von Gesundheit und war jovial und eines Epikureers würdig. Beide waren stark von der Sonne verbrannt, und ihre langen Gamaschen aus falbem Leder zeigten die Spuren aller Gräben und aller Sümpfe, die sie durchquert hatten.
    »Auf,« rief Herr von Sucy, »vorwärts! Nach einem Marsch von einer kleinen Stunde sitzen wir in Cassan vor einer guten Tafel.« »Sie können nie geliebt haben«, erwiderte der Rat mit einem jämmerlich komischen Gesicht; »Sie sind unerbittlich wie der Paragraph 304 des Strafgesetzbuchs.«
    Philipp von Sucy zitterte heftig; seine Stirn zog sich in Runzeln, sein Gesicht wurde so finster, wie es der Himmel in diesem Augenblick war. Obgleich eine Erinnerung von furchtbarer Bitterkeit all seine Züge zusammenzog, weinte er nicht. Kraftvollen Männern gleich wußte er seine Empfindungen in die Tiefe des Herzens zu verschließen; und vielleicht hinderte ihn auch, wie viele reine Charaktere, die Scham, seine Schmerzen zu entschleiern, da doch kein menschliches Wort ihre Tiefe wiedergeben kann und man zugleich den Spott der Menschen fürchtet, die sie nicht verstehen wollen. Herr d'Albon hatte eine jener zarten Seelen, die fremde Leiden erraten und lebhaft die Erschütterung mitfühlen, die sie wider Willen durch ein Ungeschick hervorgerufen haben. Er achtete das Schweigen seines Freundes, stand auf, vergaß seine Müdigkeit und folgte ihm schweigend, ganz betrübt, daß er an eine Wunde gerührt hatte, die wahrscheinlich noch nicht vernarbt war. »Eines Tages, mein Freund,« sagte Philipp, indem er ihm die Hand drückte und ihm durch einen herzzerreißenden Blick für seine stumme Reue dankte, »eines Tages werde ich dir mein Leben erzählen. Heute könnte ich es nicht.«
    Sie schritten schweigend weiter. Als der Schmerz des Obersten sich gelegt zu haben schien, spürte der Rat seine Mattigkeit von neuem; und mit dem Instinkt oder vielmehr dem Willen eines erschöpften Menschen sondierte sein Auge alle Tiefen des Waldes; er untersuchte die Wipfel der Bäume, warf prüfende Blicke in die Alleen und hoffte immer, dort irgendeinen Ort zu finden, in dem er um Gastfreundschaft bitten könnte. Als sie an einen Kreuzweg kamen, glaubte er einen leichten Rauch zu bemerken, der sich zwischen den Bäumen erhob. Er blieb stehen, sah aufmerksam hin und erkannte mitten auf einer riesigen Grasfläche die grünen und düstern Äste einiger Fichten.
    »Ein Haus! Ein Haus!« rief er mit solcher Freude, wie
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