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Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Leander und der tiefe Frieden (German Edition)

Titel: Leander und der tiefe Frieden (German Edition)
Autoren: Thomas Breuer
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schiefgegangen. Die Gestapo hatte
uns schon lange im Visier. Und sie vermuteten damals in Flensburg, dass
Roeloffs nicht loyal war – zu Recht, wie wir wissen. Also kam im September ein
Gestapo-Mann inkognito auf die Insel. Offiziell war er vom Kreisheeresamt und
sollte die Sicherheit der Abwehrkette inspizieren. Abwehrkette! So ein
Blödsinn! Natürlich habe ich gleich begriffen, was los war. Ich habe Roeloffs
angewiesen, zum Schein auf ihn einzugehen und ihn zu uns nach Sylt zu
begleiten. Hinnerk sollte sie mit dem Kutter übersetzen, weil der Fährverkehr
längst eingestellt war, und unsere eigenen Boote hatte ich vorsichtshalber zu
einer Übung auslaufen lassen. Schließlich standen wir dicht vor der
Kapitulation. Auf dem Weg nach Sylt hat Ocko ihm dann eins mit dem Knüppel
verpasst, als Hinnerk einen Moment abgelenkt war. Enno und Ocko haben ihn über
Bord geworfen, und weil sie bereits weit draußen in der offenen Strömung waren,
ist der Gestapo-Spitzel nie wieder aufgetaucht. Ich kann Ihnen sagen, als
Hinnerk Wind davon bekommen hat, war auf dem Boot der Teufel los.«
    »Das war Mord«, sagte Lena leise.
    »Quatsch, das war Notwehr«, begehrte Claus Petersen auf. »Der
Kerl hätte uns alle eiskalt ans Messer geliefert. Und nicht nur uns, auf Föhr
saßen sieben Flüchtlinge in einem Bunker. Was glauben Sie wohl, was aus denen geworden
wäre?«
    »Wie hat Roeloffs sich verhalten?«, fragte Leander.
    »Wie ein Weichei! Eigentlich hatte er zuschlagen sollen, aber
er hat sich im letzten Moment geweigert. Zum Glück war Ocko dabei und hat die Situation
gerettet. Ich habe Roeloffs dann vor die Wahl gestellt: Entweder er hält den
Mund, und wir sagen nach dem Krieg vor dem Gericht der Besatzungstruppen für
ihn aus, oder wir belasten ihn gegenüber der Gestapo. Schließlich waren wir zu
fünft. Er war alleine und hatte keine Zeugen für seine Version.«
    »Und Sie waren ein hoher Wehrmachtsoffizier«, ergänzte Lena.
    »Das zählte nach dem Zwanzigsten Juli nicht mehr viel«,
entgegnete Claus Petersen. »Die Wehrmacht stand im Führerhauptquartier unter
Generalverdacht.«
    »Und Roeloffs hat tatsächlich mitgespielt?«, wunderte sich
Leander.
    »Er war nicht dumm. Der hatte längst begriffen, wie die Dinge
im Krieg standen. Deshalb hat er nach einem Fliegerangriff nach Flensburg
gemeldet, der Inspekteur sei bei der Überfahrt nach Sylt ehrenhaft im Kampf
gefallen. Leider sei von ihm nach einem Volltreffer nichts mehr übrig
geblieben.«
    »Und das haben die geglaubt?«, zweifelte Lena.
    »Sie haben die Lage für sich genutzt. Im Frühjahr 1945 haben
wir immer wieder Parteigänger aus Flensburg mit falschen Papieren nach Dänemark
schaffen müssen. Sie haben auf Ermittlungen verzichtet und hatten uns in der
Hand.«
    »Und das hat mein Vater herausbekommen?«, hakte Leander nach.
»Deshalb war er so sauer auf Hinnerk?«
    »Ihr Vater hat uns vorgeworfen, wir hätten Nazis zur Flucht
verholfen – eine zweite Rattenlinie sozusagen. Die Großkopferten flohen mit
Hilfe von Diplomatenpässen des Vatikans über Lissabon nach Südamerika; die
mittlere Charge, vor allem in Nordfriesland, gelangte mit unserer Hilfe in
Sicherheit vor dem Zugriff der Alliierten. Bjarne hat Hinnerk das kompromisslos
vorgeworfen. Die Alternative hat ihn nicht interessiert.«
    »Dem wäre ein toter Vater lieber gewesen«, meldete sich jetzt
wieder Enno Jessen zu Wort. »Ein Märtyrer. So ein Idiot!«
    »Jetzt verstehe ich, warum er selbst in dieser Sache später
nicht geforscht hat«, sagte Leander.
    »Was war mit dem Engländer? Mit Stewart Williamson?«, fragte
Lena weiter.
    »Tja, das ist die tragische Seite des Ganzen«, fuhr Claus Petersen
fort. »Dieser Williamson tauchte hier auf, um zu sehen, welchen Fluchtweg seine
Eltern genommen hatten. Er hat uns der Reihe nach aufgesucht und ausgefragt,
aber im Grunde wollte er sich nur bei uns bedanken; da wäre absolut nichts
herausgekommen. Als er dann im Watt ums Leben gekommen ist – und ich versichere
Ihnen, dass keiner von uns damit etwas zu tun hatte, denn dafür gab es gar
keinen Grund –, da begann das Misstrauen. Hinnerk argwöhnte, Enno oder ich
hätten unsere Hände im Spiel. Und Wilhelm war bald auf derselben Schiene. Nur
Ocko konnten wir überzeugen. Vielleicht haben uns die vielen Jahre doch weiter
voneinander entfernt, als wir gedacht haben.«
    »Deshalb also der Streit?«, hakte Leander nach, und Claus
Petersen nickte zustimmend.
    »Hinnerk und Wilhelm haben uns die Hölle
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