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Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten

Titel: Lautstärke beweist gar nichts - respektlose Wahrheiten
Autoren: Aufbau
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deinen ganzen sechzig Jahren nicht ein einziges Mal Kummer hattest?«
    Das Schütteln hörte auf. Sie hielt inne, und eine Weile herrschte Schweigen. Dann wandte sie mir ihr Gesicht über die Schulter zu und sagte ohne eine Spur von Heiterkeit: »Mista C., soll das Ihr Ernst sein?«
    Das überraschte mich sehr und setzte auch meinem Benehmen und meinem Reden einen Dämpfer auf. Ich sagte:»Nun, ich dachte – das heißt, ich meine – also, du kannst keinen Kummer gehabt haben. Ich habe dich noch nie seufzen hören, und deine Augen habe ich noch nie ohne ein Lachen darin gesehen.«
    Sie wandte sich nun ganz herum und war vollkommen ernst.
    »Ob ich mal Kummer gehabt hab? Mista C., ich werde Ihnen was erzählen, dann können Sie ja sehn. Ich bin im Süden unter Sklaven geborn; ich kenn die Sklaverei genau, weil ich selber einer war. Nun, Sir, mein Alter – das is mein Mann –, der war lieb und gut zu mir, genauso gut wie Sie zu Ihrer Frau. Und wir haben Kinder gehabt, sieben Stück, und wir haben die Kinder geliebt, genau wie Sie Ihre Kinder lieben. Sie waren schwarz, aber der Herr kann die Kinder so schwarz machen, wie er will, die Mutter liebt sie doch und würde sie nich hergeben, nein, nich um alles auf der Welt.
    Also, Sir, ich bin im alten Virginia aufgewachsen, aber meine Mutter, die is in Maryland aufgewachsen; und meine Güte, war die furchtbar, wenn die erst mal anfing! Au Backe, aber die legte los, dass die Fetzen flogen! Wenn sie in Wut geriet, da hat sie immer einen Satz gehabt, den sie gesagt hat. Da hat sie sich richtig aufgebaut und die Fäuste in die Hüften gestemmt und gesagt: ›Merk dir das eine, ich bin keine von den’, die auf ’n Leim dir gehn! Bin eins der Kücken von der alten blauen Henne, bin ich!‹ Weil, wissen Sie, so nennen sich die, was oben in Maryland geborn sind, und die sind stolz drauf. Jawohl, das war ihre Rede. Dievergess ich Ihnen nie, weil sie sie so oft gebraucht hat und weil sie sie an dem Tage gebraucht hat, wo sich mein kleiner Henry das Handgelenk furchtbar aufgerissen und den Kopf so arg aufgeschlagen hat, genau oben an der Stirn, und die Neger nich schnell genug rumgeflitzt sind, um ihm zu helfen. Und wie sie ihr noch was Widerpart geben wolln, da fährt sie hoch und sagt: ›Guck her!‹, sagt sie, ›ihr Neger merkt euch das eine, ich bin keine von den’, die auf ’n Leim euch gehn! Bin eins der Kücken von der alten blauen Henne, bin ich!‹, und dann warf sie alle aus der Küche raus und verband das Kind selber. Da gebrauch ich selber nun diesen Satz, wenn man mich ärgert.
    Gut, ’ne Weile später sagt meine alte Herrin, sie is pleite und muss alle Neger, was sie hat, verkaufen. Und wie ich gehört hab, dass sie uns alle auf der Oktion in Richmond verkaufen wolln, oh, du lieber Himmel! Ich hab schon gewusst, was das heißt!«
    Tante Rachel hatte sich allmählich erhoben, während sie bei dem Thema warm wurde, und nun ragte sie schwarz gegen die Sterne vor uns auf.
    »Sie haben uns Ketten angelegt und uns auf ’n Podest gestellt, so hoch wie der Vorbau hier – zwanzig Fuß hoch –, und die Menge stand drum herum, Leute über Leute. Und dann kamen sie rauf und guckten uns ringsrum an, kniffen uns in den Arm, ließen uns aufstehn und rumlaufen, und dann sagten sie: ›Der ’s zu alt‹ oder: ›Der hinkt‹ oder: ›Der taugt nicht viel.‹ Und da haben sie meinen Mann verkauftund weggeführt und machten sich dran, die Kinder zu verkaufen und sie wegzunehmen, und ich fing an, laut zu heulen. Da sagte der Mann: ›Hör auf mit dem verdammten Plärren‹, und schlug mir mit der Hand auf den Mund. Und wie alle weg waren bis auf den kleinen Henry, da drückte ich ihn fest an meine Brust, so, und stand auf und sagte: ›Den dürft ihr mir nicht nehmen‹, sagte ich, ›ich bring den um, der ihn anrührt!‹, sag ich. Aber der kleine Henry flüsterte mir zu: ›Ich werd ausreißen, und dann arbeit ich und kauf dich frei.‹ Oh, das liebe Kind, es war immer so gut! Aber sie nahmen ihn mit – sie nahmen ihn mit, die Männer; aber ich hab den meisten die Kleider runtergerissen und ihnen meine Kette über den Kopf gedroschen; und die haben’s mir auch gegeben, aber das war mir egal.
    Nun, da war mein Mann weg und alle meine Kinder, alle meine sieben Kinder – und sechs davon hab ich bis auf ’n heutigen Tag nicht mehr gesehn, und das war letzte Ostern zweiundzwanzig Jahre her. Der Mann, der mich gekauft hat, wohnte in New Berne, und er nahm mich mit dorthin. So
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