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Lauter Irre

Lauter Irre

Titel: Lauter Irre
Autoren: Tom Sharp
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Entführung. Und wahrscheinlich auch dafür, dass er mit Alkohol vergiftet worden war.
    Er war sich sicher, dass sie klein beigeben würde. Aber wenn sie es nun nicht tat? Vielleicht würde sie eklig und gefährlich werden. Diese Möglichkeit musste er in Betracht ziehen. Nun, dann würde er eben verschwinden und ihr einen Riesenschrecken einjagen, indem er eine Nachricht zurückließ, in der er andeutete, dass er zur Polizei gehen wolle. Ja, das war die Lösung, wenn sie sich von seinen Drohungen nicht einschüchtern ließ. Auf alle Fälle konnte er nicht wirklich glauben, dass sie eklig werden würde. Schließlich hatte sie ihn vor diesem Schwein Onkel Albert gerettet und vor seinem eigenen mordgierigen Vater und seiner herrischen Mutter, und dafür war er ihr ganz sicher dankbar.
    Er streckte sich in der Sonne aus und fragte sich, was seine Eltern wohl gerade taten. Nicht, dass es ihn besonders kümmerte. Er hatte sich von der Vergangenheit abgewandt und konzentrierte sich jetzt auf die Zukunft, auf seine Zukunft als erster männlicher Grope, der als Familienoberhaupt fungierte und alleiniger Herr über das Anwesen war.
    Es war eine außergewöhnliche Vorstellung, und eine Herausforderung obendrein. Als Erstes jedoch galt es, die Hochzeit hinter sich zu bringen. Waren er und Belinda erst einmal verheiratet, so konnte er sie zwingen, genau das zu tun, was er wollte.
    Zwei Stunden später erklomm Esmond die Böschung neben dem Bahngleis und stieg den Hügel dahinter zu dem dichten Kiefernwald hinauf, der die Kuppe bedeckte. Hier war er noch nie gewesen, und er fragte sich, wann die Bäume wohl gepflanzt worden waren. Er ging noch ein kleines Stück weiter und kam plötzlich an eine große, von einer Mauer umgebene Lichtung. Zu seinem Erstaunen handelte es sich um einen Friedhof. Er kletterte über die Mauer und betrachtete die Namen auf den Grabsteinen. Es waren fast alles die jener Frauen, die Oberhaupt der Familie Grope gewesen waren. Esmond kam der Gedanke, dass er, sollte sein Plan Erfolg haben, auch hier beerdigt werden würde, wenn er starb. Der Gedanke deprimierte ihn nicht im Geringsten. Stattdessen fand er ihn höchst erfreulich. Der Friedhof war voller Wildblumen und blühender Büsche, doch nichts deutete darauf hin, dass irgendjemand ihn in letzter Zeit besucht hatte. Er fragte sich, wieso der- oder diejenige, der in dem langen Grab in der Kapelle ruhte, dort bestattet worden war und nicht hier bei all den anderen. Es war doch viel schöner hier in der freien Natur, wo niemand einen störte.
    Esmond schaute auf die Uhr und sah, dass es Zeit fürs Mittagessen war. Er stieg wieder über die Mauer und eilte durch das Wäldchen zurück, und zwanzig Minuten später war er in der Küche. Zu seiner Verblüffung stand mitten auf dem alten Holztisch eine prachtvolle Hochzeitstorte. Belinda lächelte ihn an.
    »Ich dachte, wir machen es so, wie es sich gehört«, meinte sie. »Die Torte da habe ich gestern bestellt und bin heute nach Wexham gefahren, um sie abzuholen, während du weg warst. Schließlich ist morgen Freitag.«
    »Mein Gott, ich bin schon ganz durcheinander. Ich dachte, du hättest gesagt, heute wäre Mittwoch«, antwortete Esmond. »Dann sind wir also morgen Mr. und Mrs. Grope.«
    »Natürlich, Liebling«, beteuerte sie und küsste ihn leidenschaftlicher, als er jemals zuvor geküsst worden war. »Und jetzt iss. Wir werden wunderbare Flitterwochen verleben.«
    »Flitterwochen? Wo fahren wir denn hin?«
    »Nirgendwohin, mein Schatz, wir verbringen sie hier. Die Gropes sind nie auf Hochzeitsreise gegangen. Das ist Tradition, und wir müssen sie fortführen.«
    »Oh, unbedingt«, meinte Esmond, der die feste Absicht hatte, genau das Gegenteil zu tun. Nach dem Mittagessen ging er in sein Zimmer hinauf und verfasste die Nachricht, dass er zur Polizei gehen würde, falls sie sich auf wirklich hässliche Weise dagegen wehren sollte, dass er der Herr von Grope Hall wurde. Er schob den Zettel in einen Briefumschlag, den er mit Sekundenkleber zuklebte, dann nahm er den Umschlag mit, als er hinausging, um nach dem alten Samuel zu suchen. Außerdem wollte er Jeremy bitten, am nächsten Tag sein Trauzeuge zu sein.
    Nachdem er überall nach ihm gesucht hatte, fand er ihn schließlich in der Kapelle. Zu Esmonds Erstaunen hatte es den Anschein, als wäre Samuel dabei, mit einem Wagenheber ein Ende der langen, in den Boden eingelassenen Grabplatte in die Höhe zu wuchten. Er hatte sie bereits um fast einen halben
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