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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute
Autoren: Bernard Glemser
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das Gegenteil von Miß Caswell; sie ist ungenau, nachlässig, ungeduldig und manchmal im höchsten Grade unhöflich den Kunden gegenüber. Aber sie hat echtes Fingerspitzengefühl, was so rar ist wie ein blauer Diamant; außerdem ist sie zufällig die einzige wirkliche Freundin, die ich in New York habe.
    Im Foyer brannten jetzt fast alle Lampen. Um Punkt neun Uhr fünfzehn flammten sie allesamt mit einem kleinen Klick auf; im ganzen Haus erklang ein gedämpftes Läutewerk, und unser Arbeitstag hatte begonnen, wenn auch das Publikum erst eine Viertelstunde später eingelassen wurde. Suzanne war natürlich nicht da, keine Spur von ihr zu sehen.
    Ich wartete. Alice Pye kam und setzte sich auf ihren Platz. Mit einem traurigen Ausdruck auf ihrem hübschen Gesichtchen saß sie da. »Was ist los, Alice?« fragte ich, und sie antwortete trübe: »Nichts, Miß Evans.«
    »Nichts?«
    »Im Grunde nichts, nein. Ich hatte nur gestern abend Krach mit meinem Freund, das ist alles.«
    »Oh, tut mir leid.«
    Sie seufzte schwer. »Ich verstehe Jungens nicht, Miß Evans, ehrlich, ich verstehe sie nicht.«
    »Willkommen im Verein.«
    Sie lachte, doch das Gesicht blieb traurig.
    Um neun Uhr neunundzwanzig, genau eine Minute vor Geschäftsöffnung, sah ich Suzanne durch Miederwaren schlendern, ohne Hut, ohne besondere Eile, völlig unbefangen. Sie trug ein kleines, weißes Päckchen in der Hand.
    Und als sie durch den weißen, schmiedeeisernen Bogen trat, sagte sie freundlich: »Oh! Guten Morgen, Miß Evans.«
    »Guten Morgen, Miß Banville.«
    Alice beobachtete uns. Im Geschäft waren wir immer sehr förmlich miteinander.
    »Ich habe mich wohl ein paar Minuten verspätet«, sagte Suzanne.
    Das war lediglich eine Feststellung. Eine Entschuldigung bedeutete das nicht. Sie sah wie immer schick, graziös und gepflegt aus, und wie immer auch völlig unberührt davon, was alle Menschen dieser Welt von ihr dachten, einschließlich der Vollversammlung der Vereinten Nationen. Das bringt meiner Ansicht nach keine Frau außer einer Französin fertig. Sie hat graue Augen und vorzeitig ergrautes, meliertes Haar, einen makellosen Teint und eine blendende Figur, und sie kann Männer wie Frauen völlig aus der Fassung bringen, einfach durch ihr reizendes, französisches Ich.
    Aber mich nicht. Heute nicht. Ich sagte in eisigem Ton: »Sie kommen genau fünfzehn Minuten zu spät, Miß Banville. Würden Sie mir bitte in mein Büro folgen?«
    Sie zuckte mit einer schlanken Schulter: »Gewiß.«
    Alice starrte mich scheu an. Ich mußte wohl sehr grimmig geklungen haben. Glücklicherweise gehörte es im Grunde nicht zu meinen Aufgaben als Einkaufsassistentin, die Peitsche über dem Personal zu schwingen. Das war Mrs. Snells Sache. Doch Mrs. Snell war seit drei Wochen wegen irgendeiner undefinierbaren Krankheit nicht im Geschäft, es wußte auch noch niemand, wann sie zurückkehren würde, und so hatte ich als vertretende Einkaufsleiterin die volle Verantwortung für die Abteilung. Zu Kopfe gestiegen war mir das nicht, wußte ich doch zu gut, daß ich nur ein sehr schwacher Abklatsch von Mrs. Snell war.
    In meinem Büro sagte ich: »Also hör zu, Suzanne, mir ist nichts widerwärtiger, aber ich muß dir einfach sagen —«
    »Nur zu, D’Arcy. Würg mir einen rein. Du hast absolut recht. Ich bin schon wieder zu spät gekommen, und es ist deine Pflicht, mir die Hölle heiß zu machen.«
    Wenn sie meinte, daß sie mir den Wind aus den Segeln nehmen konnte, indem sie mir — bildlich gesprochen — auch die andere Wange hinhielt, so irrte sie sich. »Ich mache dir nicht nur die Hölle heiß, weil ich das muß, Suzanne. Ich versuche, dir die Stellung zu erhalten.«
    »Du bist ein Schatz, D’Arcy«, sagte sie. »Ich verstehe. Und ich verstehe es zu würdigen. Du bist die Güte in Person.« Damit hielt sie mir das weiße Päckchen hin, das sie in der Hand getragen hatte. »Hier. Deshalb bin ich zu spät.« Sie lächelte süß und unschuldig. »Im Grunde bin ich deinetwegen zu spät gekommen.«
    »Wieso — meinetwegen?«
    »Ich mußte dir noch diese kleine Geburtstagsgabe holen.«
    »Oh.«
    Das weiße Päckchen enthielt ein bezauberndes Miniaturbouquet.
    »Das hättest du nicht tun sollen, Suzanne«, sagte ich.
    »In Ordnung. Viel Glück, Geburtstagskind.«
    Damit öffnete sie die Tür, lächelte mir zu und ging hinaus. Ich stellte den wonnigen kleinen Strauß in ein Trinkglas, und als ich gerade gehen wollte, um Wasser zu holen, läutete mein Telefon.
    Ich nahm
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