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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute
Autoren: Bernard Glemser
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so wandte ich mich — zwar voller Mitgefühl für sie — nach einer Weile meiner täglichen Arbeit zu.
    Als erstes hatte ich das Foyer zu inspizieren. Das ist zwar nicht mehr als eine Formsache, denn der Hausdienst setzt seine Ehre darein, es tadellos in Ordnung zu halten. Zwischen den beiden großen Spiegeln liegt der Eingang zu einem langen, schmalen Korridor; auf dessen einer Seite befinden sich die Lagerräume (darunter der Frischhalter, wo die fertigen Aufträge aufbewahrt werden), und die Sonderanprobe, die wir für offizielle Fotos und für die Anprobe von Kleidern mit extralanger Schleppe benutzen. Auf der anderen Seite liegen die normalen Anprobekabinen. Sie haben anstelle der Türen grüne Vorhänge. Am Ende des Flurs befinden sich die Abteilungsbüros, Mrs. Snells und meines, sowie das Büro der Beraterinnen und die Schleierwerkstatt, wo Margot Barry als unumschränkte Königin der Schleier residiert.
    Durch einen kurzen Blick in jede Anprobe überzeugte ich mich, daß sie in Ordnung waren (natürlich waren sie es, denn dem Hausdienst entgeht auch nicht das kleinste Häufchen Zigarettenasche). Ich schloß die Lager und den Frischhalter auf (er ist tatsächlich Tag und Nacht leicht unterkühlt, um die Kleider absolut frisch zu halten); dann ging ich in mein Büro, schloß den Aktenschrank auf und nahm die Bücher heraus, darunter das Tagebuch, in dem die Beraterinnen ihre Kunden-Anproben eintragen und ich alle Aufträge und Auslieferungen notiere. Beide Eintragungslisten gehen Hand in Hand und müssen ständig kontrolliert werden. Es ist keineswegs so, daß eine Braut einfach in unsere Abteilung kommt und sich ein Brautkleid nebst Zubehör kauft. Die Prozedur ist wesentlich komplizierter. Brautkleider sind Sonderanfertigungen, und das bedeutet — wie ich gerade heute morgen versucht hatte, meiner Mutter zu erklären — , daß die Fabrikanten eine Spanne von ungefähr sechs Wochen benötigen. Wenn also eine Braut zu uns kommt, sucht sie ein Modell und Material aus, die Kundenberaterin nimmt ihre Maße und gibt den Auftrag an mich weiter. Ich gebe die Bestellung beim Fabrikanten auf und erhalte von ihm das Lieferdatum. Der Kundin wird mitgeteilt, wann die erste Anprobe stattfinden kann; und ich bin dafür verantwortlich, daß das Kleid an dem zugesagten Tage tatsächlich in der Abteilung vorhanden ist. Eine Aufgabe, die schlaflose Nächte mit sich bringt sowie Magengeschwüre und graue Haare fördert.
    Heute morgen jedoch sah das Tagesprogramm verhältnismäßig harmlos aus. Soweit ich sehen konnte, hatten wir einen ruhigen Tag ohne Komplikationen vor uns, genau das Richtige für eine Einkaufsassistentin, die ihren siebenundzwanzigsten Geburtstag feiert. Der wichtigste Termin war um vierzehn Uhr dreißig; eine Miß Albacini sollte mit ihren zehn Brautjungfern zur Anprobe kommen. Doch das sollte eigentlich glatt laufen: ich hatte bereits die Bescheinigungen für den kompletten Auftrag vorliegen — vom Fabrikanten war alles eingegangen, und die Sachen lagen fertig in der Annahme unten im Kellergeschoß. Außerdem wurde Miß Albacini von dem Star unter unseren Beraterinnen betreut, von Miß Caswell — und Miß Caswell ist einer der tüchtigsten Menschen dieser Erde. Wenn sie da ist, geht nie etwas schief. Lange vor halb drei heute nachmittag würde sie sich überzeugen, daß alles aus der Annahme heraufgekommen war; sie würde jeden Stich an jedem einzelnen Kleid überprüft haben, und die Anproben würden glatt und elegant über die Bühne gehen.
    Die Kundenberaterinnen trafen kurz vor neun Uhr fünfzehn ein — Mrs. Buckingham, Mrs. Hatfield, Miß de Wild, Miß Greene, Mrs. Hazel. Dann unser Empfangsmädchen, die niedliche kleine Alice Pye. Sie riefen mir im Vorbeigehen an meiner offenen Tür ihr >Guten Morgen« zu und trugen sich in ihrem Büro in die Zeitliste ein. Zwei Mädchen fehlten noch. Miß Caswell verspätete sich oft um ein paar Minuten, denn sie wohnte weit draußen auf Long Island mit ihrer Mutter und mußte auf der Long Island-Bahn umsteigen, die manchmal unpünktlich ist. Ihretwegen brauchte ich mir keine Sorgen zu machen. Dagegen hatte ich sehr wohl Grund, mich um Suzanne Banville zu sorgen, die fast jeden Morgen zu spät erschien, weil Unpünktlichkeit eben in ihrer Natur lag, und die schon zweimal in diesem Monat deswegen gerügt worden war. Eine dritte Rüge konnte bedeuten, daß man sie an die Luft setzte, und das würde mich erheblich betrüben. Suzanne ist fast in jeder Beziehung
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