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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute
Autoren: Bernard Glemser
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wissen Sie. Ich glaube jedoch, daß Ihre Herkunft und ihre bisherigen Erfahrungen — das College ebenso wie die Arbeit an der Botschaft — in der Abteilung von unschätzbarem Nutzen sein würden. Außerdem könnte ich mir vorstellen, daß es Sie einfach reizen würde, mit dieser Frau zu arbeiten. Ich möchte Ihnen dringend nahelegen, in Mrs. Snells Abteilung zu gehen, Miß Evans.«
    Überrascht starrte ich sie an. Sie forderte mich tatsächlich auf, eine Stellung auszuschlagen, die mir wahrscheinlich ausgezeichnet liegen und mir ein vernünftiges Gehalt einbringen würde — für eine andere, für die ich nicht im geringsten geeignet war, und die so gut wie nichts einbrachte. Warum?
    Sie schien meine Gedanken zu lesen. »Das niedrige Gehalt beruht darauf, daß die ersten drei Monate praktisch eine Ausbildung darstellen, in der Sie alles lernen, was für die Abteilung vonnöten ist. Sie ist erheblich schwieriger als alle anderen Abteilungen des Hauses. Ich kann Ihnen nach Beendigung der Probezeit eine beträchtliche Gehaltserhöhung in Aussicht stellen — wenn Sie Mrs. Snell zufriedenstellen und wenn Sie in der Abteilung bleiben wollen. Auf die Dauer gesehen werden Sie sich finanziell besser stehen, und außerdem sind die Aufstiegschancen größer.« Sie sprach jetzt sehr ernst. »Glauben Sie mir, was ich Ihnen sage. Überlegen Sie es sich ein paar Tage, wenn Sie wollen, und geben Sie mir dann Bescheid.«
    Ich öffnete den Mund, um zu bemerken, wie relativ unwichtig doch Brautkleider seien (die mir gar nichts bedeuteten) im Vergleich mit Public Relations (die alles bedeuten konnten), doch ich brachte kein Wort heraus. Und plötzlich erkannte ich, daß diese Frau grundehrlich war; sie versuchte nicht, mir etwas vorzumachen; sie sprach die Wahrheit, und obwohl ich nicht ganz verstand, um was es sich im Grunde handelte, müßte ich verrückt sein, wenn ich ihren Rat in den Wind schlug. Unnötig, es ein paar Tage zu überlegen.
    »Einverstanden, Miß Ponsonby«, sagte ich. Eleganter konnte ich es nicht formulieren; es hatte mir die Sprache verschlagen.
    »Sie gehen also zu den Brautausstattungen?«
    Ich nickte nur.
    Sie lachte ihr klingendes, mädchenhaftes Lachen. »Ist das nett! Können Sie nächsten Montag anfangen?«
    Also begann ich am Montag darauf für Mrs. Snell zu arbeiten. Vier Jahre ist das jetzt her. Vier lange, lange Jahre. Was für ein Unschuldslamm war ich doch gewesen! Jetzt war ich viel härter, viel robuster — oder etwa nicht? Das war etwas zum Nachdenken, während ich meinen schwarzen Kaffee trank, am Fenster meines Wohnzimmers, am Morgen meines siebenundzwanzigsten Geburtstages.

2

    Lange Zeit blieb mir zum Nachdenken allerdings nicht. Ich duschte, zog mich an, machte mich zurecht, stülpte mir einen Frühjahrshut auf den Kopf, fand ein sauberes Paar weiße Handschuhe und verließ um halb neun die Wohnung. Ich rannte die vier Treppen hinunter und hinaus auf die Zehnte Straße, die meiner Meinung nach eine der hübschesten Straßen New Yorks ist, besonders dann, wenn die Müllabfuhr gerade da war. Die Sonne schien, die Spatzen schilpten; die Luft roch ausnahmsweise sogar gut; und als ich in die Fifth Avenue einbog, fand ich, daß sie in der klaren Aprilbeleuchtung regelrecht nobel aussah. Ehrlich, es war eine Lust zu leben.
    Ich nahm einen Bus zur Dreiundvierzigsten Straße und ging den Rest des Weges zu Fuß; ein paar Minuten vor neun betrat ich Fellowes durch den Personaleingang und ließ mir von meinem guten Freund, dem Portier, Mr. O’Reilly, die Schlüssel zur Abteilung Brautausstattungen geben. Nachdem wir unsere üblichen Artigkeiten ausgetauscht hatten, ging ich weiter durch die Verkaufsräume zu den Fahrstühlen an der Rückseite des Hauses. Das Erdgeschoß von Fellowes zu dieser Stunde hat etwas Verzaubertes — für mich jedenfalls. Es erstreckt sich über eine enorme Fläche, einen ganzen Häuserblock breit, einen halben Block tief; vor neun Uhr früh brennen nur wenige Lichter, alles ist geheimnisvoll und in Schatten gehüllt; ruhig liegen die langen Ladentische da, alles erscheint seltsam fremd — wie zu einer anderen Welt gehörend. Für gewöhnlich pflege ich nicht durch die Gegend zu laufen und mich über die Romantik des Geschäftslebens oder das aufregende Abenteuer der Arbeit bei Fellowes in der Fifth Avenue zu verbreiten, doch diese von schattenhaften Umrissen erfüllte Weite berührt mich stets von neuem.
    Miß Curwen, eine unserer älteren Fahrstuhlführerinnen, redete
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