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Lauter Bräute

Lauter Bräute

Titel: Lauter Bräute
Autoren: Bernard Glemser
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Notizbuch aus der Tasche und kritzelte etwas hinein, das ich nicht lesen konnte. Dann erklärte er: »Wir werden etwas finden, um sie in der freien Zeit zu beschäftigen.«
    »Mr. Kirkpatrick, darf ich Ihnen etwas erklären?«
    »Was?«
    »Mrs. Docherty und Miß Grampion sind Absteckerinnen — Absteckerinnen für Brautkleider. Sie gehören der Gewerkschaft an. Und die Gewerkschaft erlaubt ihnen nicht, etwas anderes zu tun als abstecken. Sie dürfen nicht einen einzigen Stich an einem Kleid nähen. Sie stecken Brautkleider ab, und mehr nicht.«
    Er runzelte mißtrauisch die Stirn.
    »Wenn wir es uns je einfallen lassen sollten, ihnen etwas zu befehlen, das den Verordnungen der Gewerkschaft zuwiderläuft«, fuhr ich fort, »würden sie schnurstracks ans nächste Telefon laufen und die Hauptgeschäftsstelle ihrer Gewerkschaft anrufen. In weniger als einer halben Stunde hätten wir dann einen Gewerkschaftsvertreter hier, der einen Heidenspektakel machen würde wegen unserer unredlichen Arbeitspraktiken und der mit Streik drohen würde. Die sind sehr empfindlich, Mr. Kirkpatrick, und sehr unerbittlich.«
    Er murmelte etwas Unverständliches, doch schien meine Begründung zu ihm durchgedrungen zu sein.
    Margot Barry — das hätte ich mir denken können — beeindruckte ihn mächtig. Sie arbeitete noch immer an demselben Schleiergesteck, und nachdem ich die beiden miteinander bekannt gemacht hatte, zeigte sie ihm im einzelnen, wie ihre Meisterwerke entstehen. Margot und ihre Art gehen mir zwar auf die Nerven, aber ich muß es ihr lassen — aus ein paar Fetzchen Spitze und einem Drahtgestell zaubert sie im Handumdrehen ein Kunstwerk. Sie verwandelt ein Mädchen in eine Madonna, eine Prinzessin oder ein mittelalterliches Edelfräulein; und ich habe Bräute in Tränen ausbrechen sehen, wenn Margot ihnen die Schleier aufsteckte — weil die Wirkung so umwerfend war.
    Im Weitergehen sagte Kirkpatrick: »Miß Barry scheint ausgezeichnete Arbeit zu leisten.«
    »Ja, auf ihre Weise ist sie ein Genie.«
    Ich zeigte ihm die Sonderanprobe; ich zeigte ihm die Lagerräume; ich zeigte ihm den Frischhalter; ich zeigte ihm einige der normalen Anproben, die gerade leer waren, so daß er sich einen Begriff machen konnte, wie sie aussahen; und dann, gerade als wir im Korridor an der Tür von Anprobe 5 vorbeigingen und ich mich im stillen beglückwünschte, weil alles so glatt verlief, zerriß Suzanne Banvilles durchdringendes französisches Organ die Stille: »Madame, ich versichere Ihnen, das Kleid zeigt jetzt schon genug von Ihren Busen. Der Ausschnitt ist so tief, daß sie praktisch herausfallen. Was haben Sie denn vor — wollen Sie sie auf einem Silbertablett durch die Kirche tragen?«
    Suzanne kann sich diese Art von Anproben-Bemerkungen leisten, ihr französisches Temperament und ihr Charme erlauben das; doch für Kirkpatrick war das gänzlich neu, und er blieb ruckartig stehen, fassungsloses, ungläubiges Entsetzen auf dem rötlichen Gesicht.
    »Haben Sie das gehört?« fragte er halblaut.
    »Ob ich was gehört habe, Mr. Kirkpatrick?«
    »Diese Ausdrucksweise, Miß Evans. Diese Ausdrücke?«
    »Ich habe nichts Ungewöhnliches gehört.«
    »Großer Gott«, murmelte er. Im nächsten Moment wurde er fast von Mrs. Buckingham über den Haufen gerannt, die aus der Kabine nebenan stürzte. Sie griff ihn beim Arm, als sie ihn schwanken sah, und sagte: »Oh, tut mir schrecklich leid. Dieser enge Flur, abscheulich unbequem.«
    »Ist irgend etwas, Mrs. Buckingham«, fragte ich sie.
    »Meine Braut ist ohnmächtig geworden. Nichts Ernstes, meine Liebe. Ich will nur eben das Riechsalz holen.« Damit segelte sie majestätisch weiter in mein Büro, wo die Riechsalzfläschchen stehen.
    »Was hat sie gesagt?« rief Kirkpatrick. »Eine Kundin ist ohnmächtig geworden? In der Anprobekabine dort? Wir müssen sofort den Sanitätsdienst holen.« Und ehe ich es verhindern oder ihn zur Vorsicht mahnen konnte, war er wie wild in die Anprobe gestürzt, wahrscheinlich, um zu helfen, soweit er konnte.
    Zwei Sekunden später schoß er wieder heraus und nach diesen zwei Sekunden war sein Gesicht nicht mehr rötlich wie zuvor, sondern tief purpurrot. Ich konnte mir denken, warum, und warf einen Blick hinter den Vorhang, um mich zu vergewissern. Das Mädchen, das da auf dem Boden lag, war praktisch nackt.
    Mr. Kirkpatrick hatte seine erste Lehre bezüglich der Anprobekabinen im Brautsalon weg.
    »Keine Sorge«, sagte ich in dem schwachen Versuch, sein gestörtes
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