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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst
Autoren: Lisa Gardner
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hinter ihr den Flur entlangpolterte. In all ihren Albträumen hatte Umbrio nur selten ein Gesicht. Er war ein riesenhafter schwarzer Schatten, eine unbezwingbare Macht, der es stets gelang, sie niederzuwalzen. Während sie winzig und schutzlos war, überragte er sie wie ein finsterer Rachegott.
    In Laufe der Jahre hatte sie sich immer wieder einzureden versucht, dass sie die Dinge aus der Perspektive eines Kindes betrachtete: ein kleines Mädchen gegen einen Mann, ein Kind gegen einen Erwachsenen. Doch als sie ihn nun sah, wurde ihr klar, dass sie sich geirrt hatte. Umbrio war ein Riese, ein muskelbepackter Berg von einem Mann, der ihr heute noch ebenso viel Angst machte wie damals.
    Er hatte ihr so viel von ihrem Leben genommen. So viele Anteile ihres Selbst waren in diesem Loch zurückgeblieben.
    Und jetzt war sie vor ihm auf der Flucht. Beim Rennen schrie sie vor Angst, Trauer und Wut. Sie hasste Richard Umbrio, und sie sehnte sich nach der Frau, die sie hätte werden können, wären sie einander an jenem verhängnisvollen Tag nie begegnet.
    Ihr Vorsprung verringerte sich. Catherine lief schneller. Sie versuchte nicht mehr, sich zu beherrschen, und ließ zu, dass sich Panik ihrer bemächtigte. Bald würde er sie eingeholt haben. Schon streckte er die Hand nach ihr aus. Er würde sie am Hals packen, sie zu Boden schleudern, und dann ...
    Catherine stürmte ins Wohnzimmer und blickte rasch zum Couchtisch. Dahinter lag Bobby, die Neun-Millimeter im Anschlag und den Finger am Abzug, wobei er die Tischkante als provisorische Stütze benutzte.
    »Jetzt«, befahl er.
    Catherine fiel zu Boden wie ein Stein. Hinter ihr kam Umbrio ruckartig zum Stehen und versuchte, wild mit den Armen rudernd, einen Sturz zu vermeiden.
    Bobby drückte ab. Plop, plop, plop. Eins, zwei, drei.
    Umbrio stürzte wie ein gefällter Baum und landete krachend auf dem Boden. Seine Hand zuckte. Dann rührte er sich nicht mehr.
    Zitternd rappelte Catherine sich auf. Umbrio lag flach auf dem Rücken und starrte sie an. Blut sammelte sich in seinen Mundwinkeln. Er lächelte.
    »Und jetzt?«, flüsterte er.
    Sie verstand nicht, was er damit meinte. Im nächsten Moment packte er sie am Rocksaum.
    Catherine stieß einen Schrei aus. Sie hörte, wie Bobby neben ihr wieder abdrückte, doch nur ein metallisches Klicken war zu hören. Die Pistolen, dachte Catherine. Sie hatte sie beim Verteilen ausgetauscht, sodass Bobby die bekam, die sie bereits ein Dutzendmal abgefeuert hatte. Bobby stieß einen Schwall von Flüchen aus, während Umbrio sich nach vorne warf und Catherines Knie mit seiner gewaltigen Faust umfasste.
    Catherines Verstand setzte aus.
    Umbrio würde sie töten. Seine Hände würden sich um ihren Hals schlingen. Und dann würde er zudrücken, bis sie tot war, so wie er es schon vor fünfundzwanzig Jahren gewollt hatte. Sie war wieder in dem Loch im Boden. Sie war ganz allein.
    Undeutlich nahm sie eine Bewegung wahr. Bobby war aufgestanden. Er rief etwas, das sie nicht hören konnte. Das Zimmer schluckte sämtliche Geräusche, und alles fühlte sich an wie Watte.
    Inzwischen hatten Umbrios Hände ihre Hüfte erreicht. Er kroch über ihren Körper und grinste sie mit einem Mund voller blutiger Zähne an, während seine rechte Hand nach ihrem Hals griff.
    Catherine tastete verzweifelt. Und schließlich fand sie den Gegenstand, den sie unter dem Sofa versteckt hatte. Umbrios Finger schlossen sich um ihren Hals.
    Bobby erhob sich hinter ihm und holte mit dem Arm aus. In diesem Moment schob Catherine den Lauf der Pistole direkt in Umbrios Mund. Für einen Sekundenbruchteil wirkte er aufrichtig erstaunt. Dann drückte sie ab.
    Richard Umbrio wurde buchstäblich weggepustet.
    Mit seinem ganzen Gewicht stürzte er auf ihren zierlichen Körper. Catherine brach in Tränen aus.
    Bobby zerrte die Leiche weg, nahm Catherine in die Arme und zog sie an seine Brust. »Pssst«, murmelte er. »Pssst, alles ist gut. Es ist vorbei. Wir haben es ausgestanden. Sie sind jetzt in Sicherheit, Cat.«
    Aber es war nicht vorbei. Es war nicht erledigt. Für eine Frau wie sie würde es nie ausgestanden sein. Und es gab noch immer zu viele Dinge, die Bobby nicht wusste.
    Sie weinte und spürte zum ersten Mal, wie ihr echte Tränen übers Gesicht liefen. Als Bobby ihr das Haar streichelte, schluchzte sie noch heftiger, denn im Gegensatz zu ihm war ihr klar, dass das hier nur der Anfang war.
     
    Die Polizei erschien. Der Sicherheitsdienst des Hotels ebenfalls. Dienstmarken und
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