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Lauf, wenn du kannst

Lauf, wenn du kannst

Titel: Lauf, wenn du kannst
Autoren: Lisa Gardner
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»Ja«, meinte sie nach einer Weile. »Ich denke, das stimmt.«
    Mr Bosu war auf der Pirsch. Er hatte die Beute erspäht, riss die Schranktür auf und stieß mit dem Messer zu. Aber er traf nur einen Stapel Frotteehandtücher. Was zum Teufel war das?
    »Verdammt!«, brüllte Mr Bosu.
    Er zerrte die Handtücher aus dem Schrank. Toilettenpapierrollen und verschiedene Bademäntel flogen hinterher. Alles leer! Wo war der Junge?
    »Verdammt!«, schrie er wieder.
    Und dann sah er ihn, den zweiten Schrank mit Lamellentüren, ein Stück weiter den Flur entlang. Mr Bosu pirschte sich an.
    »Richard.«
    Die Stimme ließ ihn innehalten. Der Name auch. Leicht verdattert drehte Mr Bosu sich um. Seit Jahren hatte ihn niemand mehr Richard genannt. Weder das Wachpersonal im Gefängnis noch seine Mitgefangenen. Für die anderen hieß er Umbrio, für sich selbst Mr Bosu. Mit Richard war er schon seit über zwanzig Jahren nicht mehr angesprochen worden.
    Catherine stand allein am Ende des Flurs. Sie war größer als auf dem Bild, das sich in sein Gedächtnis eingebrannt hatte, und hatte sich dennoch in vielerlei Hinsicht kaum verändert. Der zerzauste schwarze Haarschopf. Er wünschte, sie hätte eine rote Schleife getragen.
    Ein Jammer, dass Mädchen immer erwachsen werden mussten.
    »Catherine«, sagte er und winkte sie mit seinem blutigen Messer zu sich. »Hast du mich vermisst?«
    Er grinste sie an. Sie hatte die Schultern gestrafft und hielt, in dem Versuch, stark zu wirken, den Kopf hoch erhoben. Aber er erkannte am raschen Heben und Senken ihrer Brust, wie schwer sie atmete.
    Sie hatte Todesangst.
    Sofort meldete das alte nostalgische Gefühl sich wieder. Er war fünfundzwanzig Jahre jünger, kroch durch den Wald und steuerte in freudiger Erwartung auf die kleine Lichtung zu, nur zu erkennen an der großen Pressspanplatte, die wie zufällig auf dem Boden lag. Daneben befanden sich ein langer Stock und ein Stück Kette, die sich nur bei näherer Betrachtung als Leiter entpuppten.
    Er hob die Spanplatte an, lehnte sie an den Stock, spähte hinunter in die klaffende Grube und schickte sich an, die Kette hinunterzulassen.
    Ihr Gesicht erschien aus der Dunkelheit. Klein, bleich, schmutzig. Verzweifelt.
    »Freust du dich, mich zu sehen?«, rief er nach unten. »Sag mir, dass du dich freust.«
    »Bitte«, erwiderte sie.
    Eilig kletterte er die Leiter hinunter und zog sie in seine Arme. »Was sollen wir heute machen?«
    »Bitte«, wiederholte sie nur, und allein der Klang dieses Wortes ließ ihm fast das Herz zerspringen.
    »Willst du um Gnade betteln?«, fragte Umbrio nun, bebend vor Erregung. »Du weißt doch, was ich gerne höre.«
    »Nein.«
    »Das solltest du aber. Ich werde dich und deinen Sohn nämlich töten.«
    »Nein.«
    »Aber, aber, Catherine. Vor allem du solltest doch wissen, wie viel Macht ich habe.«
    »Du hast mich achtundzwanzig Tage in ein Loch gesperrt, Richard. Doch ich habe dafür gesorgt, dass du für fünfundzwanzig Jahre ins Gefängnis gewandert bist.« Mr Bosu verzog das Gesicht. Der Gedanke gefiel ihm gar nicht, und offen gestanden hatte er nicht die geringste Lust auf dieses Gespräch. Er trat einen Schritt vor. Catherine rührte sich nicht von der Stelle. Er machte noch einen Schritt und blieb dann ruckartig stehen. Irgendetwas war da faul.
    »Zeig mir deine Hände«, befahl er.
    Sie hob sie gehorsam. »Wo ist die Waffe?«, fragte er argwöhnisch.
    »Die habe ich Maryanne gegeben. Ich habe sie schließlich schon ausprobiert, und wir beide wissen doch, dass ich nicht schießen kann.«
    Immer noch misstrauisch, runzelte er die Stirn. »Möchtest du mich etwa mit bloßen Händen angreifen?«
    »Nein.«
    »Was dann? Warum bist du rausgekommen? Aus welchem Grund hast du das Zimmer verlassen?«
    »Um Zeit für meinen Sohn zu gewinnen. Jeden Moment wird die Polizei hier sein, Richard. Und offen gestanden ist es mir egal, ob du mich in Stücke hackst, so lange du Nathan nur kein Haar krümmst.«
    »Oh.« Er überlegte. »Weißt du was? Die Abmachung gilt.« Als er einen Satz vorwärts machte, floh Catherine den Flur hinunter.
     
    Catherine rannte. Aber nicht zu schnell. Das war das Schwierigste daran. Ihr Herz klopfte, und ihre Nerven waren zum Zerreißen gespannt. Das Adrenalin, das durch ihre Adern pulste, befahl ihr, sich zu beeilen, um sich zu retten.
    Aber sie musste ihre Rolle weiterspielen. Sie alle waren Schauspieler in diesem Stück, auf einer Bühne, die die größte ihres Lebens war.
    Sie hörte, wie er
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