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Laubmann 2 - Bärenzwinger

Laubmann 2 - Bärenzwinger

Titel: Laubmann 2 - Bärenzwinger
Autoren: Stefan Fröhling & Andreas Reuß
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Geisterstunde strenggenommen schon vorüber war. Zur Sicherheit schloß er sich aufs neue ein und verkroch sich in seinem Bett.
    ***
    Im Burgwald war es still. Kein Wind durchzog in der Abenddämmerung die Bäume. Die hohen schwarz-grauen Buchen hatten ihr Laub längst abgeworfen; nur an den Ästen der Eichen hingen Blätter, die sich bewegten, wenn der eine oder andere Wassertropfen von weiter oben herabfiel. Die abgefallenen Nadeln der Lärchen vermoderten am Boden.
    Bisweilen waren dort noch kleinere Schneeflächen zu sehen, unter denen das Eis schmolz und in winzigen Adern über die sandige oder lehmige Erde leise gurgelnd abfloß. Auf den Schneeresten waren die Spuren der Tiere, die sich in einem Winterwald aufhalten, deutlicher wahrnehmbar: Mäuse, Wiesel oder Rehe, selten einmal ein Fuchs. Nahe den alten Außenmauern der über dem Wald aufragenden Babenburg durchbrachen Waldkäuze mit ihrem «Kuwitt», das für eine empfindsame Seele wie «komm mit» klingen mochte, die Stille auf ihre Weise. Die Schleiereule wartete im Bergfried auf die Nacht, um ihren Beuteflug zu beginnen.
    Merkwürdig mochte allerdings ein leichtes Grummeln erscheinen, das seit wenigen Minuten aus dem tiefen Innern des Bergs zu dringen schien. Oder war es nur eine Täuschung? – Eine schwarze Amsel flog ruckartig hoch, wütende Warnrufe ausstoßend, als ein Eisenriegel mit einem heftigen Schlag zurückgeschoben wurde. Der Baummarder zuckte aufgeschreckt zusammen und verschwand blitzartig im niederen Geäst des Waldes, wo er mit seinem braunen Fell nicht mehr auszumachen war. Ein Schlüsselbund klirrte, ein Schloß wurde aufgesperrt. Die Geräusche, die aus dem felsigen Abhang gedrungen waren, verdichteten sich zu Gemurmel, lauteren Stimmen und Schritten.
    Als schließlich die schmale Eichentür nach außen aufgeschoben wurde, was nicht ohne Kraftanstrengung möglich war, vibrierten die unbelaubten Haselnußstauden, welche die Tür verbargen. Ein wenig Schneestaub fiel herab, rieselte auf die Schneereste des Vortags. In den Winkeln der Senke, wohin die Wintersonne nie kam, war der Schnee tiefer und haftete noch auf der windzugewandten Seite der Bäume.
    Mit einer stattlichen metallenen Lampe in der Hand, die batteriebetrieben war und über einen Tragegriff verfügte, trat Hans Merten, der Kastellan der Babenburg, aus dem unterirdischen Gang, nachdem er den altertümlichen Schlüssel aus dem Schloß gezogen hatte. Der Achtundfünfzigjährige war ein hochgewachsener, hagerer und doch kräftiger Mann mit rötlichen Haaren, der seit fünfzehn Jahren in kirchlichen Diensten stand und sich als gelernter Schreiner um die Betreuung der Burg kümmerte.
    Neben der alltäglichen Erledigung der Hausmeisterarbeiten war er auch, falls erforderlich, für das Mesneramt der Burgkapelle verantwortlich, und er veranstaltete bei Gelegenheit Burgführungen für Tagungsgäste. Das machte ihm am meisten Spaß. Seit eineinhalb Jahrzehnten nutzte die Erzdiözese Bamberg die Babenburg als Katholische Akademie, nachdem sie die Immobilie dem mittlerweile verstorbenen Grafen Theodor von Hohenfranken zu einem nicht ungünstigen Preis hatte abkaufen können.
    Nach Hans Merten kam Dr. Philipp Laubmann ins Freie. Er blinzelte, obwohl das Tageslicht des späten Winternachmittags bereits dämmrig geworden war. Genießerisch atmete er die eisige Luft ein, während die anderen Teilnehmerinnen und Teilnehmer der vorwiegend theologisch ausgerichteten Tagung zum Thema «Wahrheit» vor Kälte zitterten. Schelmisch fragte sich Laubmann, ob sie nicht der Wahrheit wegen schlotterten, denn Lug und Trug waren deren ständige Begleiter, und damit war er als kriminalistisch begabter Moraltheologe vortrefflich vertraut.
    Nicht nur im Äußeren schien er das Gegenteil von Hans Merten zu sein. Laubmann hatte schütteres dunkelblondes Haar, war beinahe einen Kopf kleiner als jener und neigte zu einem rundlichen Körperbau. Persönlich und theologisch zählte er zu den Suchenden; auf der Suche nach Wissen, nach Begreifen, nicht zuletzt nach Gott und eben nach der Wahrheit. Er wollte trotz seiner Wissenschaftlichkeit immer eine verständliche Sprache für alles finden. Und wenn möglich, auch Antworten. So zum Beispiel auf die ihn sehr privat beschäftigenden Fragen, ob er irgendwann seine Habilitation bewältigen würde oder sich gar zum Priestertum berufen fühlen könnte. Mit 39 war es an der Zeit. Das meinte sogar er selbst.
    Der Kastellan hingegen schien keine Fragen mehr ans Leben zu
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