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Lasst uns froh und grausig sein

Lasst uns froh und grausig sein

Titel: Lasst uns froh und grausig sein
Autoren: Friederike Schmöe
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und sortierte die Papiere auf meinem Tisch, bevor ich Tjark ins Besprechungszimmer folgte. Auf was für Ideen so ein Gewissen kam!
    »Mord auf dem Kulmbacher Weihnachtsmarkt«, begann Tjark. »Hat es noch nie gegeben. Zufällig war Clemenza vor Ort. Schieß mal los, Clemenza.«
    Ich schoss los. Fügte die Aussagen der Buchhändlerin an, der die Trompetenstimme gehörte und die den Wettbewerb ausgelobt hatte. Ein paar Zeugenaussagen. Die Ergebnisse aus der Rechtsmedizin. Enikö Marai war mit Blauem Eisenhut vergiftet worden, der giftigsten Pflanze Europas, die unter Kennern auf den Namen aconitum napellus hörte.
    »Enikö«, murmelte Tine. »Türkin?«
    »Ungarin«, berichtigte Tjark, bevor ich mich einschalten konnte. »Sie lebt seit ihrer Kindheit in Deutschland und ist Lehrerin für Latein und Griechisch.«
    »Also integriert«, sagte ich und sah Tjark grinsen.
    »Wieso zeichnet eine Lehrerin Cartoons?«, fragte Tine, die meinen Boshaftigkeiten auswich, indem sie sie überhörte.
    »Karikaturen«, verbesserte Tjark. »Das ist was anderes. Karikaturen nehmen die Abgründe der Gesellschaft aufs Korn.«
    Ich verbiss mir die Bemerkung, wie ein Abgrund auf ein Korn passte. Wahrscheinlich konnte ich zu schlecht Deutsch, würde Tine jetzt sagen.
    »Sie zeigen das Böse, damit wir erkennen, was gut ist«, ergänzte Volkwin.
    Ich reichte das Postkartenbuch herum.
    »Wie ihr seht«, sagte Tjark, »sind einige Honoratioren aus unserem beschaulichen Ort Opfer von Enikös Zeichenstift geworden. Frieder Bach aus dem Bauamt, Amtsarzt Dr. Helge Bundschuh.«
    »Und die 2. Bürgermeisterin!«, rief Tine verblüfft.
    »Auch die«, bestätigte Tjark und warf mir einen Blick zu. »Für Malaika Norden ist ihr Auftritt als bebrillter Weihnachtsengel allerdings eher eine kostenlose Werbung.«
    »Wer ist denn Malaika Norden?«, fragte Volkwin.
    Es wunderte mich nicht, dass er die Mundartdichterin nicht kannte. Schließlich verstand er sich als Intellektueller und hatte die Frankfurter Allgemeine abonniert.
    Während Tjark ihn aufklärte, besah ich mir die Liste. Bauamtsmann, Amtsarzt, Mundartdichterin. Der Pfarrer, vor Kurzem vom Vatikan zum Monsignore ernannt und darauf mächtig stolz. Die 2. Bürgermeisterin Wilhelmine Mais und Karl Neun, Deskchef bei der Bayerischen Rundschau. Und noch ein paar andere. Ich schob die Skizzen weg und sagte:
    »Hört mal, bloß, weil man als Nikolausi dargestellt wird, kriegt man doch nicht gleich einen Rappel und ermordet die Karikaturistin.«
    Tjark fuchtelte mit den Händen in der Luft herum. »Denk an den Karikaturenstreit vor ein paar Jahren.«
    »Das war was anderes«, sagte ich. »Das war politisch.« Und es fand nicht in Kulmbach statt, fügte ich im Stillen hinzu.
    »Vielleicht ist das hier auch politisch!«, warf Volkwin ein. »Der Pfarrer hatte im Frühjahr einen Prozess wegen Fahrerflucht am Hals. Jetzt ist er Monsignore.«
    Ich zuckte die Schultern. »Deswegen morden? Der Klerus ist ohnehin korrupt.«
    »Bei euch in Neapel«, fragte Tine, »gibt’s da überhaupt ein Delikt, das Fahrerflucht heißt?«
    Ich hatte ihr so oft erklärt, dass ich im zarten Alter von zwei in dieses warme und herzliche Land nördlich der Alpen eingereist war, dass ich mir eine weitere Erläuterung sparen konnte. Schnell sagte Tjark:
    »Denkt mal, Dr. Bundschuh hat letztens auch ziemlichen Stress gehabt. Mit seiner völlig überdrehten Schweinegrippe-Prävention hat er die ganze Stadt auf den Kopf gestellt.«
    »Er hat sich neulich die Segelohren operieren lassen«, warf Tine ein.
    »Das Ganze war ein Wettbewerb, Kollegen«, sagte ich und klopfte auf Enikös Buch. »Es gab Konkurrenten, die aus dem Weg geschafft werden mussten. Vielleicht wäre gern ein anderer der Glückliche gewesen und hätte seine Zeichnungen in dicker Auflage als Weihnachtsgeschenk über den Tresen wandern sehen.«
    »Geh der Sache mal nach«, bat Tjark.
    Ich packte meinen Kram zusammen und ging. Hatte sowieso keine Lust mehr, mir den Hintern plattzusitzen.
     
    *
     
    Buchhändlerin Tessi Gerber hockte hinter einem Rechner und sah erstaunt hoch, als ich mich vor ihr aufbaute.
    »Servus«, sagte ich. »Conzi. Ich hätte da noch ein paar Fragen.«
    Sie nickte und führte mich durch die überheizte und überfüllte Buchhandlung in ihr Büro.
    »Die letzten Tage vor Weihnachten machen wir unser bestes Geschäft«, erläuterte sie. In ihrer Stimme karibikte es nicht mehr so wie gestern, als sie Enikö angekündigt hatte.
    »Haben Sie den Wettbewerb
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