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Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland

Titel: Laß dich verwoehnen - Prostitution in Deutschland
Autoren: Tamara Domentat
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sexualmedizinischen Unter-und zum Teil auch Fehlversorgung leben.227 Das wiederum könnte daran liegen, daß die Sexualwissenschaft in Deutschland zwar eine Tradition, aber keinen universitären Studiengang besitzt. Wenn selbst unter Experten die Unwissenheit grassiert, wie soll sich dann unsereins eine fundierte Meinung über Sexangelegenheiten bilden?
    Längst überfällig wäre also auch die Förderung universitärer sexualwissenschaftlicher Forschung.
    Anstatt sich zwanghaft auf Ausstiegsprogramme zu kaprizieren, könnten Professionalisierungsmaßnahmen auf den Weg gebracht werden. Welche Mechanismen ermöglichen es Sexarbeiterinnen, ihre Vorstellungen eines guten Lebens umzusetzen, bringen ihnen mehr Kontrolle, Autonomie und finanzielle Unabhängigkeit und stärken ihre Fähigkeit, sich männlicher Dominanz zu widersetzen? Statt wissenschaftliche Quasimoral zu produzieren, ginge es darum, gängige Vorurteile zu überwinden: daß die Sexarbeit die sexuelle Verfügbarkeit von Frauen festschreibt und konservative Geschlechterbotschaften bekräftigt, daß sie sich anders als andere Erwerbstätigkeiten nicht vom Körper und vom Selbst der Frau ablösen läßt, daß sie die Frau erniedrigt und psychisch beschädigt. Wenn faktenorientierte Diskursführer alte Klischees durch neue Fakten ersetzen, wird sich auch das Erleben und Bewerten prostitutiver oder promisker Sexualität positiv verändern. Bis dahin werden es Sexarbeiterinnen weiter aushalten müssen, vom Mainstream der Gesellschaft nicht gemocht zu werden - eine emotionale Leistung, zu der Frauen im allgemeinen nicht erzogen werden.
     
    Die Prostituierte profitiert durch ihr Stigma:

Camilla Paglia
     
    In gewisser Weise wird die Prostituierte immer in Gegnerschaft zu den offiziellen Instanzen der Gesellschaft stehen. Aber sie profitiert auch durch diese abgegrenzte Identität. Wer diese Identität hat, sollte auch persönliche Verantwortung dafür übernehmen. Sie sollte nicht alle anderen anflehen, ihre Meinung zu ändern - nach dem Motto:
    »Bitte, bitte habt mich lieb, Mami und Papi.« Das Stigma der Prostituierten ist das Aushängeschild ihrer Identität. Ihm verdankt sie ihre Klienten. Wenn ihr Kunde jemanden ohne Stigma wollte, würde er die Frau von nebenan vögeln.228
     
    Eine Gesellschaft, die die »Unmoral« abschaffen will, läuft Gefahr, inhuman zu werden. Anstatt Sexarbeiterinnen und ihre Kunden sexuell zu disziplinieren, brauchten wir ein gesellschaftliches Klima, das sexuelle Tauschgeschäfte nicht nur juristisch und versicherungstechnisch gleichstellt, sondern auch als sexualisierten Lebensentwurf. Ebenso wie Schwule und Lesben und zunehmend auch Transsexuelle gesellschaftlich akzeptiert werden, sollte auch eine Sexarbeit, die zwischen Erwachsenen in gegenseitigem Einverständnis stattfindet, als eine von vielen vertretbaren Sexualitäten im Rahmen der Zivilgesellschaft anerkannt werden - nicht nur als verbale Toleranzbekundung, sondern als Teil des gesellschaftlichen Lernens, im sozialen Nahbereich, jenseits voyeuristischer Lust. Eine humanistische Gesinnung respektiert das Selbstbestimmungsrecht aller an sexuellen Tauschgeschäften Interessierten. Sie bezeichnet Prostitutionskunden nicht als beziehungsunfähig, schwanzgesteuert, unreif oder sexsüchtig und destabilisiert Frauen, die die Sexarbeit mit Hingabe betreiben, nicht mit autoritären Selbsttäuschungsvorwürfen.
    In einer komplexen, individualisierten und pluralistischen Gesellschaft verliert eine essentialistische Sexualmoral, die an den jeweiligen Kontexten vorbeiargumentiert, ihre Gültigkeit und ihren Sinn.
    Sie kann nur durch eine ethische Selbstprüfung und ein Bewußtsein für sexuelle Rechte ersetzt werden. Vor diesem Hintergrund müßten die Motive und das Verhalten von Prostitutionskunden mal mit den Szenarien einer von Lügen durchzogenen Partnersuche kontrastiert werden, die zwar nicht zwangsläufig dem Überleben, wohl aber der sozioökonomischen Aufwertung dient.
    Daß die Sexarbeit vor allem als Unterweltphänomen wahrgenommen wurde, verhinderte nicht nur ein differenziertes Bild des ältesten Gewerbes der Welt, sondern auch eine lebendige, inspirierte Diskussion über die Art und Weise, in der jede(r) von uns Sex und Geld individuell bewertet und miteinander verknüpft. Alles kann und soll mit Hilfe sexueller Reize verkauft werden, andererseits findet eine geistreiche, selbstironische oder auch ernsthafte Auseinandersetzung mit Sexualität eher in den Nischen des
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