Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Lange Zähne

Lange Zähne

Titel: Lange Zähne
Autoren: Christopher Moore
Vom Netzwerk:
Blut hing immer noch schwer
in der Luft, aber jetzt wurde Jody übel davon, wie vom Gestank leerer
Weinflaschen an einem verkaterten Morgen.
    Sie stand auf und ging ins
Badezimmer, zog sich im Gehen bereits aus. Sie drehte die Dusche auf und
kämpfte sich, während das Wasser einlief, aus den Überresten ihrer Strumpfhose.
Dabei stellte sie - ohne große Überraschung - fest, daß ihre verbrannte Hand
gänzlich verheilt war. Ich habe mich verändert, dachte sie bei sich. Ich werde
nie wieder dieselbe sein. Die Welt ist auf den Kopf gestellt. Und mit diesem
Gedanken kehrte die Trauer zurück. Das habe ich schon erlebt.
    Sie stellte sich unter die Dusche
und ließ das brühend-heiße Wasser über ihren Körper laufen, ohne auf das Gefühl
oder das Geräusch oder die Farbe der Hitze und des Dampfes, die in dem dunklen
Badezimmer wirbelten, zu achten. Der erste Schluchzer entrang sich ihrer Brust,
schüttelte sie, schlug eine Bresche für die Verzweiflung. Jody rutschte an der
Duschkabinenwand hinunter, hockte auf den wasserwarmen Kacheln und weinte, bis
das Wasser kalt wurde. Und dann erinnerte sie sich: eine andere Dusche im
Dunkeln, als die Welt sich verändert hatte.
    Sie war fünfzehn und nicht
verliebt gewesen, doch verliebt in die Erregung sich berührender Zungen und das
grobe Tasten einer Jungenhand an ihrer Brust ; verliebt in die
Vorstellung von Leidenschaft und zu abgefüllt mit zu süßem Wein, den der Junge
in einem Schnapsladen geklaut hatte. Sein Name war Steve Rizzoli (was keine
Rolle spielte, außer, daß sie diesen Namen nie vergessen würde), und er war
zwei Jahre älter - ein Möchtegern-Rebell mit Haschpfeife und Surfer-Glätte. Auf
einer Decke in den Dünen von Carmel hatte er Jody dazu gebracht, ihre Jeans
auszuziehen, und es ihr gemacht. Ihr, nicht mit ihr: Sie hätte auch tot sein
können, was ihre Beteiligung betraf. Es war schnell und unbeholfen und hohl
gewesen, bis auf den Schmerz, der blieb und wuchs, selbst nachdem sie zu Hause
war, geduscht hatte und in ihrem Zimmer lag, die nassen Haare auf dem Kissen
ausgebreitet, während sie an die Decke starrte und bis zum Morgen trauerte.
    Als sie aus der Dusche kam und
mechanisch begann, sich abzutrocknen, dachte sie bei sich: Ich habe mich schon
einmal so gefühlt ; damals trauerte ich um meine Jungfräulichkeit.
Worum trauere ich heute? Meine Menschlichkeit? Das ist es: Ich bin kein Mensch
mehr, und ich werde es auch nie wieder sein.
    Mit dieser Erkenntnis fielen alle
Puzzlesteinchen an ihren Platz. Sie war zwei Nächte weg gewesen, nicht eine.
Ihr Angreifer hatte sie unter den Müllcontainer geschoben, um sie vor der Sonne
zu schützen, aber irgendwie hatte ihre Hand freigelegen und war verbrannt. Sie
hatte den ganzen Tag verschlafen, und als sie am nächsten Abend erwachte, war
sie kein Mensch mehr.
    Ein Vampir.
    Jody glaubte nicht an Vampire.
    Sie betrachtete ihre Füße auf der
Badematte. Ihre Zehen waren gerade wie die eines Babys, so als wären sie nie
vom Schuhetragen zusammengedrückt und gekrümmt worden. Die Narben an ihren
Knien und Ellenbogen von Unfällen in ihrer Kinderzeit waren verschwunden. Jody
schaute in den Spiegel und sah, daß die feinen Krähenfüße um ihre Augen
verschwunden waren, ebenso wie ihre Sommersprossen. Aber ihre Augen waren
schwarz, nicht ein Millimeter der Iris war zu sehen. Jody erschauderte, doch
dann wurde ihr bewußt, daß sie das alles in völliger Dunkelheit sah, und sie
schaltete das Badezimmerlicht ein. Ihre Pupillen zogen sich zusammen, und ihre
Augen hatten wieder dasselbe atemberaubende Grün, das sie immer gehabt hatten.
Jody packte eine Handvoll ihres Haars und inspizierte die Spitzen. Kein Spliß,
nicht eine abgebrochene Spitze. Sie war - soweit sie das glauben konnte -
perfekt. Eine Neugeborene von sechsundzwanzig Jahren.
    Ich bin ein Vampir. Sie ließ zu,
daß sich der Gedanke wiederholte und langsam in ihren Verstand einsickerte,
während sie ins Schlafzimmer ging und sich eine Jeans und ein Sweatshirt anzog.
    Ein Vampir. Ein Monster. Aber ich
fühle mich gar nicht wie ein Monster.
    Als sie vom Schlafzimmer zurück ins
Badezimmer ging, um sich die Haare zu trocknen, fiel ihr Blick auf Kurt, der
noch immer auf der Couch lag. Er atmete rhythmisch, und eine gesunde Wärme-Aura
stieg von seinem Körper auf. Kurz keimten Schuldgefühle in Jody auf, doch sie
verdrängte sie.
    Zum Teufel mit ihm, ich hab ihn
sowieso nie wirklich gemocht. Vielleicht bin ich ja tatsächlich ein Monster!
    Sie schaltete
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher