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Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Titel: Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)
Autoren: Otto Dov Kulka
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anderen.
Befehle wurden gegeben. Manche mordeten auf ihre Art,
weinten auf ihre Art.
    Ich nenne hier keine Namen
aus Rücksicht auf den Leser,
denn zuerst schockieren die Details vielleicht,
doch letzten Endes ermüden sie.
    Du kannst einmal sterben, zweimal, sogar siebenmal,
aber du kannst nicht zigtausendmal sterben.
Ich kann.
Meine Untergrund-Zellen reichen überall hin.
    Als Kain begann, sich auf der Erde zu verbreiten,
begann ich, mich im Bauch der Erde auszubreiten,
und schon lange bin ich stärker als er.
Seine Heerscharen desertieren und schließen sich mir an,
doch selbst das ist nur eine schwache Rache.
    Aus Dan Pagis, An beiden Ufern der Zeit, wie Anmerkung 4, S. 8 f.
    24 Was ich hier sage, widerspricht der Behauptung unserer Weisen: » Hiob hat es nie gegeben, er war nur ein Gleichnis« (Babylonischer Talmud, I1 5a), wie auch der des Maimonides im Führer der Verwirrten (Teil III, Kap. 22), findet aber einen Nachhall in Dan Pagis’ grausamer » Homilie«: » Von Anfang an waren die Kräfte ungleich verteilt. Satan ein hoher Fürst im Himmel – Hiob Fleisch und Blut. Außerdem war auch der Wettstreit nicht fair. Hiob, um seinen Reichtum gebracht, seiner Söhne und Töchter beraubt und selbst mit Aussatz geschlagen, wusste gar nicht, dass es ein Wettstreit war. Weil er sich zu sehr beklagte, hieß der Richter ihn schweigen. Und dann, weil er gestand und schwieg, siegte er, ohne es zu wissen, über seinen Gegner. So wurde ihm sein Reichtum wiedergegeben, er bekam Söhne und Töchter, neue natürlich, und die Trauer über die ersten wurde von ihm genommen. Wir können denken, dass diese Entschädigung das Furchtbarste von allem war. Wir können denken, das Furchtbarste was Hiobs Unfähigkeit zu begreifen, dass er gesiegt hatte und über wen. Aber das Furchtbarste von allem ist, dass Hiob nie gelebt hat, sonder ein Gleichnis war.« Dan Pagis, An beiden Ufern der Zeit , wie Anmerkung 4, S. 12 f.
    25 Hiob, 2, 6–7.

ANHANG

Ghetto im Vernichtungslager:
Jüdische Sozialgeschichte zur Zeit
des Holocaust und ihre Grenzen 26
    I
    Der vorliegende Aufsatz versucht ein einzigartiges Kapitel der Geschichte darzustellen, vor dessen Hintergrund es uns möglich ist, eine Reihe bedeutender Fragen der jüdischen Geschichte zur Zeit des Holocaust zu untersuchen, die sich auf eine unvergleichliche Situation menschlicher und sozialer Existenz in extremis beziehen und über die Darstellung der Geschichte des »Familienlagers« hinausgehen. Bei der folgenden Einleitung handelt es sich zunächst um eine Zusammenfassung der wesentlichen Fakten zur Geschichte des Familienlagers in Auschwitz.
    Das Lager wurde im September 1943 mit der Ankunft von 5000 aus Theresienstadt deportierten Juden errichtet. Anders als bei der Standardprozedur in Auschwitz durchliefen sie keinen Selektionsprozess, dem die Liquidierung der »Arbeitsuntauglichen« gefolgt wäre, sondern wurden in einem separaten Lager in Auschwitz-Birkenau untergebracht, in dem es – abermals im Unterschied zum üblichen Ablauf in anderen Auschwitz-Lagern – Männern, Frauen und Kindern erlaubt war, in einem einzigen Lager zusammenzubleiben. Sie unterschieden sich vom Rest der Häftlinge durch ihre Kleidung und den Umstand, dass man ihnen nicht die Köpfe schor. Abgesehen von der Funktion des »Lagerältesten«, die mit einem deutschen kriminellen Auschwitzhäftling (»Berufsverbrecher«) besetzt wurde, blieb die interne Verwaltung des Lagers den Juden überlassen. Dennoch führten die harten Lebensbedingungen im Lager zu einer extrem hohen Rate »natürlicher Tode« (mehr als 1000 der 5000 Menschen, die mit dem ersten Transport ankamen, erlagen den Strapazen innerhalb der ersten sechs Monate). Drei Monate später, im Dezember 1943, traf der zweite Transport aus Theresienstadt mit weiteren 5000 Juden ein, die unter denselben Bedingungen im selben Lager untergebracht wurden.
    Der Grund für den Sonderstatus dieser Deportierten war weder den Juden im Familienlager noch den Häftlingen der anderen Auschwitzlager verständlich, aber jeder nahm an, dass sie, aus welchem Grund auch immer, von dem Schicksal, das alle anderen nach Auschwitz deportierten Juden erwartete, ausgenommen waren. Am 7. März jedoch, sechs Monate nach Ankunft des ersten Transports, wurden alle, die im September 1943 ins Lager gekommen waren, in einer einzigen Nacht in den Gaskammern vernichtet, ohne zuvor die Selektion durchlaufen zu haben, wie sie für die Häftlinge der anderen Auschwitzlager üblich war.
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