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Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)

Titel: Landschaften der Metropole des Todes: Auschwitz und die Grenzen der Erinnerung und der Vorstellungskraft (German Edition)
Autoren: Otto Dov Kulka
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geschehen«, sagt Kohelet, König in Jerusalem 15 – ein Herausblasen des Gases, »biologischer und chemischer Krieg«, »haba aleinu letova«,»der zu unserem Guten sei« 16 – »und sollten wir das Böse nicht annehmen?« 17 – vor dem »Großen Feuer«, und »nicht im Feuer« des Großen Todes, sondern in der ungeheuren, alles zerschmelzenden Hitze, danach »eine dünne Stimme der Stille«. Dieses furchtbare Schweigen und die Straßenkarte der Großstadt des Todes, schwarz, verbrannt, stumm – eine Luftaufnahme der – der gigantischen Fußstapfen des Großen Todes, die dort verblieben sind. Wie eine Luftaufnahme aus jener Zeit. 18 Und das, »was wieder geschehen wird«, ist schon gewesen – hier? Und die jungen Bäume und die Ruhe, sind sie nur die Spiegelung einer fernen Zeit auf fernen Sternen?
    Ich denke viel nach über den grotesken Traum, den ich vor einigen Monaten geträumt habe, hier in Jerusalem. Über Doktor Mengele und seine Inkarnation in der eingefrorenen Zeit, 19 wie eine anachronistische Erscheinung im zeitgenössischen Gewand: Ein »Führer der Unwissenden«, vom Auschwitz-Museum angestellt, um Besuchern die Überreste des Lagers zu zeigen, auch den Besuchern aus Israel. Ich betrat damals diese gespenstischen Räume durch die Ruinen des Krematoriums Nr. 2, auf der »anderen« Seite der Eisenbahnschienen, von wo es keinen Weg hinaus gab, nur diese letzte Station.
    »Was soll das heißen, wo ich gewesen bin? Hier war ich, die ganze Zeit!« In dem verlassenen Industriegebäude aus einer vergangenen Zeit, in der Halle, die hier und da mit Spinnweben verziert war, rußgeschwärzte, lange nicht geputzte Fenster über die gesamte Länge und Holztische und Bänke aus ungeschliffenen Holzplanken (wie in unserem Sägewerk mit seinen großen Flächen, auf denen die Bretter zum Trocknen wie stumpf abgehauene Pyramiden gestapelt lagen, eingefroren in der Zeit unter den leeren Wüstenhimmeln). Mein Vater war auch dort, nachdem ich ihn von einem Telefon angerufen hatte, das auf einem der Tische stand, und ohne es zu wissen, hob ich ihn aus dem Hades. Er kam, aber ich erinnere nicht ein Wort, das er dort gesagt hat, als er kam.
    Ja, dieser sonderbare Traum beschäftigt mich noch von Zeit zu Zeit. Eigentlich nur als Auftakt, als Hintergrund und als Korridor zu einem anderen Traum, 20 als seine Variation, nein – als Transfiguration in einen Traum über furchtbaren Schmerz: den »Schmerz Gottes«, denn Er war dort. Damals.
    Menschliche Figuren wie Silhouetten aus einem Schattenspiel bewegen sich stumm hin und her im flackernden Licht des Feuers, das in den Öfen des Krematoriums brennt – nicht als anachronistisches Schauspiel wie im »Mengele-Traum«, sondern in der Zeit des realen Auschwitz, in seiner stummen Glorie, vor dem Hintergrund der dunkel brennenden Verbrennungsöfen.

    Abb. 47
    Hier, was ich auf die Zettel geschrieben habe, am Tag nach dem Traum:
    Und ich sah den furchtbaren Schmerz Gottes, der dort gewesen war. Die ganze Zeit. In Seiner Gestalt. Anfangs fühlte ich Ihn (nur) als eine Art rätselhafte Schmerzstrahlung, die aus der dunklen Leere des unbeleuchteten Raumes der Verbrennungsöfen durch meine Glieder strömt. Eine Strahlung von unerträglich intensivem Schmerz, stechend und betäubend zugleich. Danach begann Er sich in eine Art riesigen Embryo zu verwandeln, schmerzverkrümmt, inmitten der Dunkelheit, in der nur ein schwacher Schein des tobenden Feuers flackerte, umschlossen von schweren Eisenöfen. Verkrümmt wie etwas, wie jemand, dessen schwerer Körper und lange Arme durch Michelangelos riesiges Fresko in der Deckenwölbung der Sixtinischen Kapelle schweben, aber in der Gestalt, die Er hier annahm, war Er lebendig, verkrümmt, in sengendem Schmerz nach vorne gebeugt, wie eine verzerrte Skulptur von Rodins »Denker«.
    Eine Gestalt in den Dimensionen Seiner Geschöpfe, als Ebenbild eines menschlichen Wesens kam Er und war dort – auch als eines Seiner Geschöpfe im Reich der Sklavenarmeen ringsherum. Hier kam Er und war in dem Traum, in dieser fürchterlichen Inkarnation, die erschaffen wurde (oder als deus ex machina, obscura, tremens erschien), als eine Antwort auf die »Frage, die sie dort nicht stellen durften«, aber sie wurde gefragt und schwebte durch die düstere Luft.
    Und woher kam in jenem Traum die Frage, die Sein Ebenbild hervorbrachte und es sparsam erleuchtete, dort in jenen düsteren Hallen?
    Vermutlich von hier.
    Es ist genau so geschehen; es war kein Traum.
    Mein
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