Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
denn er und ich seien doch auch in der Fastenzeit die Könige von Guldenberg. Bernhard hielt die rechte Hand in die Höhe und winkte, den Kopf wandte er zu mir und sagte leichthin: »Sicherlich, Sigurd. Aber vergiss nie, da unten stehen einige, die uns beiden liebend gern den Kopf abschneiden würden. Heute noch lieber als vor ein paar Jahren.«
    Dann lachte er, spendete dem vorbeiziehenden Wagen mit dem Faschingsochsen Beifall und begrüßte ein paar Geschäftsfreunde, die zu uns auf die Freitreppe kamen. Nach zwei Stunden waren wir durchgefroren und gingen ins Rathaus, um uns dort mit einem Glas Glühwein zu stärken. Am Abend saß der Karnevalsverein zuerst drei Stunden im Adler, dann zogen wir in die Krone um und tauschten mit dem Prinzenpaar die Plätze, die nun im Adler zu präsidieren hatten. Habers Sohn Paul kam mit einem angetrunkenen Mädchen zu uns und sagte, er habe eine Karnevalsprinzessin gefunden. Er bat seinen Vater, ihm mit etwas Geld auszuhelfen. Da Bernhard nur argwöhnisch das kichernde Mädchen betrachtete, zog ich mein Portemonnaie heraus und gab Paul einen Hunderter. Bernhard schüttelte den Kopf über mich, als er es sah, und Paul grinste zufrieden und klopfte mir gönnerhaft auf die Schulter.
    »Mach ich ein andermal gut, Sigurd.«
    »Das kannst du sofort, Paul. Versprich mir nur, dass ich im nächsten Jahr von dir keinen Korb bekomme. Nächstes Jahr bist du unser Prinz, einverstanden? Es muss ein Guldenberger sein, einer von uns und einer, der was darstellt.«
    Paul lachte auf und schüttelte den Kopf: »Nein, ich wäre keine gute Wahl. Außerdem bekommt euer Prinz für diedrei Faschingstage nur eine einzige Prinzessin, das ist mir zu wenig.«
    Er grinste seinen Vater an und küsste das Mädchen.
    »Was war denn vorhin auf dem Platz los?«, fragte ich ihn.
    »Vorhin? Was meinst du?«
    »Ich habe es doch gesehen, Paul. Ihr hattet irgendein Gerangel an der Pumpe.«
    »Ach so. Das war nichts weiter. Wir haben zwei Fidschis aus dem Festumzug herausgezogen.«
    »Lass sie doch. Wenn sie ein Kostüm haben, ist nichts dagegen zu sagen.«
    »Karneval ist ein deutsches Fest. Was haben sie da zu suchen?«
    »Was habt ihr gemacht? Euch geprügelt?«, mischte sich Bernhard ins Gespräch.
    »Ach was. Wir haben sie rausgeholt und heimgeschickt. Auf unserem Karneval haben sie nichts verloren.«
    »Lass die Leute zufrieden, Paul. Es sind arme Flüchtlinge, ihnen geht es schlecht genug. Sie tun uns nichts, und sie nehmen uns nichts weg.«
    »Wer hat sie gerufen? Ich nicht.«
    »Dein Großvater war auch ein Vertriebener.«
    »Das ist was ganz anderes, Paps. Großvater war ein Deutscher. Er hatte einen Anspruch darauf, hier zu leben.«
    »Ach, was weißt du denn, Paul! Ich sag es dir noch einmal, lass diese Leute zufrieden.«
    »Schon gut, Alter. – Komm, Pussy, gehen wir.«
    Die Drei-Mann-Kapelle, die in der Krone die Musik machte, spielte einen Faschingsschlager. Paul fasste das Mädchen um die Hüfte und ging mit ihr zur Tanzfläche. Bernhard sah ihm nach und lächelte stolz.
    »Ist ein patenter Junge, dein Paul.«
    »Ja.«
    »Na, vielleicht werden meine beiden Mädchen mal zuVerstand kommen.«
    »Man soll die Hoffnung nie aufgeben. Und vielleicht wird aus Jenny und Paul eines Tages ein Paar. Mir wäre es recht.«
    »Komm, Bernhard, darauf trinken wir einen. Ich lade dich ein.«
    Die Kapelle spielte jetzt einen Walzer und die angetrunkenen Paare stolperten über die Tanzfläche, die Frauen kreischten, ein älterer Mann stürzte auf den Boden. Bernhard schob sich langsam durch die Menschen hindurch in Richtung der Bar, und ich folgte ihm. Der Karnevalshut auf seinem dicken Schädel war verrutscht, ich setzte ihm den Dreispitz zurecht, bevor er herunterfallen konnte.

*
    Den Festumzug beschlossen zwei kostümierte Mädchen, die auf kleinen gedrungenen Apfelschimmeln ritten, sie verließen als Letzte den Platz. Neben den beiden Pferden liefen Kinder, die die Tiere streichelten und ihnen farbige Bonbons vorhielten. Sekunden später war der Marktplatz fast menschenleer. Man konnte die Musik hören und das leise Grummeln der sich entfernenden Menschenmenge. Der alte Herr mit den beiden kleinen Kindern ging zu dem Mann, der das weinende Kind hatte ausrufen lassen und nun bei den hinter dem Rathaus geparkten Autos stand.
    »Vielen Dank, dass Sie sich meiner kleinen Nadja angenommen haben.«
    »Keine Ursache. Ich hoffe, sie hat sich wieder beruhigt.«
    »Ich hatte sie nur einen Augenblick losgelassen und schon war
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher