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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme
Autoren: Christoph Hein
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Bürgersteig.
    Bernhards Bemerkungen gingen mir nicht aus dem Sinn. Ich wollte wissen, ob mein Vater an dieser Schweinerei beteiligt war, und wenn Bernhard nicht weitergehen wollte, ich schon. Zuerst zog ich zu Beuchler, sprach über dies und jenes und die alte Zeit, ließ dann den Namen Lachmannbeiläufig fallen und deutete ihm an, dass ich wüsste, was Lachmann kurz vor seinem Tod gesagt hatte. Beuchler bestritt alles, schließlich rückte er mit ein paar Einzelheiten und einem Namen heraus. Dass er die Miete für Lachmann bezahlt habe, stehe allerdings in keinem Zusammenhang damit, vielmehr hatte er mit Lachmanns Schwester jahrelang und von allen unbemerkt ein Verhältnis und habe ihr zuliebe diese Zahlung übernommen, da sie sich um ihren versoffenen Bruder sorgte. Den Rest erfuhr ich von Wiesner, dem damals die Schmiede gehört hatte, die er aufgeben musste, als die Genossenschaft erfolgreich ihre eigene Schmiede betrieb. Nach dem, was ich von den beiden herausbekam und mir zusammenreimen konnte, ist die Geschichte nach einem Kegelabend des Klubs der Aufrechten passiert. Man hatte sich bereits verabschiedet, und die meisten waren gegangen, auch mein Vater. Vier Leute standen am Tresen und tranken einen Absacker, Beuchler war dabei und Wiesner, Schmöckel und Pichler. Sie sprachen über die Stadt und die vielen Vertriebenen, die das städtische Budget mehr als belasten würden. Sie machten dumme Witze über den einarmigen Tischler, und einer von ihnen, weder Beuchler noch Wiesner wollten mir den Namen sagen, verkündete, er würde hundert Mark für jeden toten Umsiedler hinblättern, so viel sei ihm die städtische Hygiene wert. Alle hätten gelacht, und ein anderer der vier Kegelbrüder habe gesagt, er wolle zusätzlich einen Hunderter drauflegen, denn er würde auch lieber in einer sauberen Stadt leben. Dann sei Lachmann, der allein an einem der Tische saß, aufgestanden, sei zu ihnen gekommen und habe sich in das Gespräch gemischt. Wie immer sei er betrunken gewesen und habe gefragt, ob die Herren Wort halten würden, und im Spaß habe man ihm versichert, dass man auf ihr Wort Häuser bauen könne. Sie hätten Lachmann ein Bier spendiert und seien heimgegangen. Zwei Tage später habe sich der alte Haber erhängt. Oder sei gehenkt worden,das wisse man nicht genau, denn mit Lachmann habe man nie darüber gesprochen, und Geld habe ihm gewiss keiner gegeben, jedenfalls wüssten Beuchler und Wiesner nichts davon. Wiesner versicherte, das Gespräch sei ein Ulk gewesen und Lachmann habe das wissen müssen. Überdies habe der alte Haber so viel Pech im Leben gehabt, dass er das Unglück geradezu magisch angezogen habe.
    Ich war erleichtert, als ich alles erfahren hatte. Ich wusste nun, mein Vater gehörte nicht dazu, er war bei dem Gespräch nicht dabei, er hatte kein Geld angeboten, an seinen Fingern klebte kein Blut. Und das sagte ich Bernhard.
    Ich habe damals lange darüber nachgedacht, ob ich ihm die Geschichte erzählen sollte und wie viel von dem, was ich herausbekommen hatte. Da er mein Nachbar und mein Freund war, wollte ich ihn zumindest wissen lassen, dass mein Vater nichts damit zu tun hatte, und so ging ich schließlich an einem Sonntagmorgen zu ihm. Friederike öffnete mir die Tür und sagte, er arbeite in der Garage, werde aber gleich wiederkommen, um einen Kaffee zu trinken, ich solle im Wohnzimmer auf ihn warten.
    »Ich sehe mal nach ihm«, sagte ich, und ging ums Haus herum. Bernhard baute an einer Vorrichtung, um die Winterreifen an der Decke aufzuhängen, er stand auf einer Leiter, nickte mir kurz zu und bat mich, mit anzufassen. Ich reichte ihm Schrauben und Werkzeug hoch und erzählte, was ich erfahren hatte, allerdings nannte ich nur Beuchlers Namen, die anderen verschwieg ich. Bernhard arbeitete die ganze Zeit weiter und ließ sich nicht stören. Er war nicht erstaunt, und er war nicht aufgeregt. Er schien nicht einmal wütend zu sein, jedenfalls sagte er kein Wort und unterbrach mich kein einziges Mal. Als ich fertig war, schraubte er seelenruhig weiter, als hätte ich über das Wetter gesprochen.
    Dann fragte er: »Und wer sind die anderen drei?«
    »Willst du es wirklich wissen?«
    »Ja. Ich denke schon.«
    Ich zögerte einen Moment, doch bevor ich ihm die Namen sagen konnte, unterbrach er mich.
    »Warte«, sagte er. Er stieg die Leiter herunter, ging in eine Ecke des Garage, in der die Bierkästen standen, nahm zwei Flaschen heraus, öffnete sie und reichte mir eine. Dann setzte er sich
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