Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme
Autoren: Christoph Hein
Vom Netzwerk:
helfen. Ich muss Sträucher umsetzen. Wir sehen uns abends.«
    »Gut. Bis heute Abend.«
    Während der Feier ging er mit keinem Wort auf das Gespräch mit dem Priester ein. Als Friederike erzählte, dass Pfarrer Geßling bei ihnen gewesen war, um Bernhard zu gratulieren, unterbrach er sie und warf ihr einen Blick zu, so dass sie verstummte.
    In den folgenden Wochen kam er nie wieder auf Geßling zu sprechen, und ich nahm an, er wollte nichts mehr von der Sache wissen, doch Ende Oktober, als wir zusammen Laub in unseren Gärten zusammenkehrten, um es zu verbrennen, sagte er unvermittelt: »Ich bin jetzt sicher, es war Lachmann, Ernst Lachmann. Kanntest du ihn?«
    »Lachmann kannte ich, den alten Suffkopp. Was ist mit ihm?«
    »Er war es. Er hat meinem Vater die Schlinge um den Hals gelegt.«
    »Lachmann? Der konnte nicht einmal geradeaus laufen.«
    »Mag sein. Aber einen Menschen aufhängen, das konnte er.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Geßling hatte gesagt, der Mörder hatte es ihm bei der Letzten Ölung gebeichtet, ein halbes Jahr vor meinem Geburtstag. Ich habe im Rathaus nachgefragt und in der Registratur der Kirche. Es kommt nur Lachmann in Frage. Wie war er?«
    »Lachmann? Ein Alkoholiker. Saß den ganzen Tag in der Kneipe und versoff das bisschen Verstand, das ihm gegeben war.«
    »Und seine Freunde?«
    »Lachmann hatte keine Freunde. Mit dem wollte keiner etwas zu tun haben.«
    »Irgendwelche Freunde hatte er.«
    »Er besaß keine Freunde, Bernhard. In Guldenberg hatte Lachmann nicht einen Freund. Wer sollte sich mit einem Suffkopp abgeben wollen?«
    »Irgendjemanden gab es, mit dem er wetten konnte.« Bernhard lächelte grimmig.
    »Ich habe ein wenig nachgeforscht. Die Beerdigung musste die Stadt bezahlen, er besaß keinen Pfennig, und es gab keine Verwandten, die dafür aufkommen konnten. Doch seine Miete, die wurde jahrelang bezahlt. Es waren nur ein paar Mark, die seine Bruchbude kostete, aber immer wurde pünktlich überwiesen. Es gab einen Dauerauftrag.«
    »Ein Bankauftrag? Ich kann mir nicht vorstellen, dass die alte Schnapsnase ein Konto besaß. Der konnte nicht einmal seinen eigenen Namen schreiben.«
    »Hatte er auch nicht, Sigurd. Die Miete zahlte Beuchler. – Da bist du sprachlos, was? Warum wohl? Warum hat ihm Beuchler die Miete bezahlt? Verwandt waren sie nicht.«
    »Wer weiß. Vielleicht hat Lachmann für ihn hin und wieder gearbeitet, und Beuchler war so vernünftig, ihm das Geld nicht in die Hand zu geben. Das wäre vorstellbar.«
    »Nein, Sigurd. Und das weißt du auch. Vorstellbar ist etwas ganz anderes.«
    »Was meinst du?«
    Mich überlief es kalt, denn mir dämmerte etwas.
    »Damals waren wir beide noch nicht im Klub der Aufrechten. Aber Beuchler. Vielleicht wurde dort gewettet. Denn als Handlanger haben den Lachmann einige aus dem Klub beschäftigt.«
    »Wollen wir zusammen zu Beuchler gehen und ihn zur Rede stellen? Vorsichtig auf den Busch klopfen?«
    »Nein. Was ich wissen wollte, weiß ich. Ich will keine schlafenden Hunde wecken. Ich will diesen Zirkus nicht noch einmal durchmachen müssen. Einmal im Leben, das reicht mir. Meinem Vater kann ich nicht mehr helfen, was soll es also?«
    Mit der Kartoffelforke kratzte er das Laub zusammen und hob es dann auf die Karre.
    »Ich bin quitt mit ihnen, Sigurd. Auf meiner Rechnung ist allein noch Tinz offen, ein Straßenköter, den ich einmal besaß und den man mir umgebracht hat. Aber wegen einem Hund fange ich keinen Krieg an. Heute nicht mehr.«
    Ich nickte, sagte nichts mehr. Ich ahnte, dass Bernhard mit seinen Vermutungen nicht falsch lag, es reimte sich für mich vieles zusammen.
    Lachmann war gelegentlich auf unserem Sägeplatz gewesen, Vater hatte ihm manchmal Arbeit gegeben. An die Maschinen durfte er nicht ran, denn eine Alkoholfahne hatte er immer, doch er war kräftig und konnte Stämme allein tragen, die man eigentlich nur zu zweit bewegen konnte. Nach Vaters Tod erschien er zwei-, dreimal und fragte nach Arbeit, ich schickte ihn weg. Seine Hände zitterten ständig und er stank, ich wollte dieses Wrack nicht auf meinem Hof sehen und sein Gerede, dass mein Vater ihm etwas schuldig sei, nahm ich nicht ernst. Diese Zechbrüder hatten alle solche Sprüche drauf, und wenn es mit der Bettelei nicht klappte, wurden sie unverschämt. Irgendwann nahm ich ihn am Kragen, schleppte ihn ans Hoftor und gab ihm einen Tritt. Danach ist er niemals wieder bei mir erschienen, und wenn ich ihn auf der Straße traf, wechselte er eilig den
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher