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Landnahme

Landnahme

Titel: Landnahme
Autoren: Christoph Hein
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mittlerweile erfolgt waren, wurden ihm als Ausgleich überlassen, er startete mit wenig Bankkapital, aber mit einem nicht unerheblichen Besitz in seine neue Unternehmerphase. Ich brachte ihn dazu, eine Lieferfirma für Heizöl parallel zu seinem Betrieb aufzubauen, begleitete ihn zu seinen Verhandlungen mit der Sparkasse und konnte ihmeinige Ratschläge von Onkel Gustav vermitteln.
    Als wir zusammen das fünfjährige Jubiläum unserer neugegründeten Firmen feierten, waren Haber und ich die gewichtigsten Arbeitgeber in Guldenberg, an denen niemand in der Stadt vorbeikam und der Stadtrat schon gar nicht. Zwischen Bernhard und mir gab es einen kleinen Unterschied von ein paar Millionen, doch das störte in keiner Weise unsere Freundschaft. Schließlich wussten wir beide, dass ich auf dem Besitz des Großvaters und Vaters hatte aufbauen können und Bernhard sich als Vertriebener alles selber erarbeiten musste.
    Unser Kegelverein hat die Veränderungen nicht überlebt. Wir trafen uns zwar wie eh und je an jedem zweiten Freitag im Adler, aber zum Kegeln hatte keiner mehr die Zeit, stattdessen besprachen wir die städtischen Angelegenheiten und waren, da der Bürgermeister Mitglied des Klubs war, gewissermaßen eine Art Küchenkabinett, das die Stadtpolitik absprach. Es waren neue Mitglieder hinzugekommen, ein paar Guldenberger, die sich selbständig gemacht hatten, und einige Zugezogene, die durch Rückübertragungen und Neugründungen zu den Geschäftsleuten des Ortes gehörten. Außerdem ein Notar, zwei Steuerberater und ein Rechtsanwalt, die allesamt aus den alten Bundesländern kamen. Da wir unsere Absprachen nicht mehr heimlich treffen mussten, verzichteten wir auf die Kegelbahn, sondern saßen stattdessen im Vereinszimmer des Adlers.
    Irgendwann entstand der Plan, tatsächlich einen Verein zu gründen, und es gab die unterschiedlichsten Vorschläge. Pichler schlug vor, uns »Industrie- und Handelskammer« zu nennen, so wie uns der damalige Bürgermeister abfällig gekennzeichnet hatte, jedoch der Anwalt erhob dagegen Bedenken. Wiesner machte den Vorschlag, einen Karnevalsverein zu gründen, er verwies darauf, dass es in Guldenberg bis 1927 einen solchen Verein gegeben hatte. Einige von uns hatten Bedenken, denn in einem satzungsgemäßenKarnevalsverein könnte jeder Bürger Mitglied werden, was keinem von uns zusagte. Wiesner sagte, mit einer obligatorischen Jahresgebühr für alle Mitglieder sei diese Gefahr zu bannen. Er schlage vor, jedes Mitglied habe jährlich fünftausend Mark Beitrag zu entrichten, eine solche Summe würde uns die unerwünschten Mitbürger fern halten. Wir stimmten ab, der Vorschlag wurde allgemein akzeptiert, und wir beauftragten den Anwalt, eine Satzung auszuarbeiten, für die unser Verein eine Beglaubigung der Gemeinnützigkeit erreichen könnte, damit wir die Jahresbeiträge von der Steuer absetzen konnten.
    Noch im November wurde die Gründung des Karnevalsvereins »Grün-Gold Guldenberg« in der Presse bekannt gegeben, und es gab eine erste öffentliche Sitzung, auf der wir Haber zum Präsidenten wählten. Und im Februar, genau siebzig Jahre nach dem Ende des ersten Karnevalsvereins, wurden in unserer Stadt wieder die drei tollen Tage gefeiert. Wir feierten in der angemieteten Turnhalle und in den beiden größten Gaststätten des Ortes, und die Einwohner beteiligten sich am Festumzug, für den wir einen großen Teil des Vereinsvermögens opferten. Am Rosenmontag war die große Faschingssitzung in der ausgeschmückten Turnhalle der Schule. Bernhard eröffnete sie als Präsident und übergab dann die Amtsgewalt dem Faschingsprinzen und seiner Prinzessin. Die jungen Mädchen der Stadt marschierten über die Bühne, und die Blechbläser der Kirche quäkten Faschingslieder, die so, wie sie der kirchliche Posaunenchor vortrug, ebenso gut und besser auf einer Beerdigung gespielt werden könnten.
    Am darauf folgenden Tag war der Umzug durch die Stadt. Das Prinzenpaar stand auf der Freitreppe des Rathauses, um dort mit den Mitgliedern des Karnevalsvereins den Vorbeimarsch des Festzugs abzunehmen und den Närrinnen und Narren zuzujubeln. In der Hand hielt der Faschingsprinz einen großen vergoldeten Pappschlüssel alsZeichen der an die Narren übergebenen städtischen Gewalt. Ich stand neben Bernhard und sagte zu ihm, während wir ab und zu unter dem Getöse der Blechbläser nach unten winkten, dass wir beide den Pappschlüssel nicht benötigten, da wir zwei den richtigen in der Tasche hätten,
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