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Landleben

Landleben

Titel: Landleben
Autoren: John Updike
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Caine oder Sieben Bräute für
sieben Brüder oder Das Fenster zum Hof oder La Strada oder
Die Ferien des Monsieur Hulot.
    Eine Kleinstadt-Weisheit, die er nur sehr langsam be-
griff, war die, dass Sex wie Ferien ist, eine Aktivität, die
in dem Haushalt unseres Körpers nur bemerkenswert
kurz vorkommt, verglichen mit Schlaf und Nahrungsbe-
schaffung oder mit der Errichtung von Schutzwällen zur
Selbstverteidigung – man denke nur an die Chinesische
Mauer. Der untreue Mann und die untreue Frau treffen
sich zu einem klaren Zweck, gefährlich und skandalös, der
Blutdruck erhöht, die Pupillen vergrößert, und der Liebes-
rausch färbt die Haut rot: Liegt darin nicht eine lobens-
werte Wirtschaftlichkeit, im Vergleich zu Sex, der dünn
verteilt ist über das endlose Einander-ausgesetzt-Sein in
der Ehe?
    Dass Phyllis diesen Fleck glitschigen Laubs auf der
Old County Road gefunden hatte, um durch die Luft zu
fliegen und auf dem Kopf zu landen, da unten, an dem
summenden, luftigen Waldrand – das schien irgendwie an
ihn gerichtet, mit einem ihrer typischen listigen, rückwärts
gerichteten Blicke, obwohl er mit dem rationalen Teil sei-
nes Gehirns verstand, dass ein Unfall ein Unfall ist und
einzig und allein die entleerte Absurdität alles Seienden
zeigt. Doch wir streben danach, allem rings um uns her-                um bedeutungsvolle Muster aufzuzwingen, miteinander
verriegelte Netze mit einem Vektor, die zurück zum Ich
führen, zum point de départ, wenn schon nicht zu dem ar-
chimedischen Punkt, der diese schwere, verworrene, voll
gestellte Welt in eine schematische Form hebt, sodass wir
sie manipulieren können.
    In den Jahren, in denen Owen in Middle Falls gelebt
hatte, war die Stadt für ihn durch die Lage der Häuser von
Frauen, an denen er interessiert war, kartographiert. In
dem einen Haus wohnte eine Frau, mit der er geschlafen
hatte, in einem anderen wohnte eine Frau, von der er sich
in seinen Phantasien vorstellte, dass er mit ihr schlief, und
die Häuser dazwischen waren weiße, unbewohnte, leere
Stellen, so wie Gegenden im Inneren Afrikas, in Arabia
Déserta und in der Südsee auf Karten verzeichnet waren.
Wenn Owen durch Middle Falls fuhr oder ging, hatte er das
glückliche Gefühl, sich orientieren zu können, das Gefühl,
dass seine Position irgendwie kartographisch verzeichnet
war, dass es etwas gab, wo er hingehörte. Immer seltener gab
es in Amerika Orte, wo man hingehörte, immer öfter war
es ein Irgendwo, eines nach dem anderen, an nummerierten
Highways aufgereiht. Auch die, die am Highway wohnen,
wissen nicht immer seine Nummer. Obwohl Owen in Has-
keils Crossing länger als an jeder anderen Adresse gelebt
hat und dort mit dem Auto fährt und zu Fuß geht, ist es in
seinem Kopf nicht kartographiert, oder doch nur so vage,
wie es die beiden Amerika im sechzehnten Jahrhundert
waren, als es nur ein paar mit Namen benannte Häfen und
eine vage verzeichnete Küstenlinie gab, an die wilde Hoff-
nungen von El Dorado geknüpft wurden wie auch der Ge-
danke an viele ungläubige Wilde, die ausgerottet werden
mussten.
    In seinem Leben gibt es einen größer werdenden Hohl-
raum – das bevorstehende Ende vielleicht. Julia kann ihn
nicht retten, obwohl ihr Anblick, bekleidet oder unbeklei-
det, noch immer sein Herz erhebt. Sie kann ihn nicht ret-
ten, mit ihrem seidigen, willigen Körper, ihrem unerschro-
ckenen aquamarinblauen Blick oder mit ihrer sachlichen
christlichen Frömmigkeit, die er nun mit ihr teilt, all seinen
wissenschaftlichen Intuitionen und seiner indifferenten
kirchlichen Erziehung zum Trotz. Grampy las die Bibel
auf dem Sofa mit der aus Rohr geflochtenen Rückenlehne,
Grammy glaubte an Teufel und Hexen. Sein Vater diente
den Herren des lokalen Kapitalismus mit konventionel-
ler Anwesenheit, an Weihnachten und Ostern und an den
meisten Sonntagen. Owens Mutter war diejenige, die den
Kosmos ernsthaft befragte, sie war der ungetröstete Hiob,
und manchmal, wenn sie ihrem Unglücklichsein, dessen
Quelle der Junge nie ganz sah, Ausdruck verlieh, war ihr
Gesicht von Tränen verschmiert. Wir sehen unsere Eltern
nicht gut – sie sind zu groß und zu nah.
    In Haskells Crossing und dem nahen Teil von Cabot
City gibt es öffentliche Tennisplätze für diejenigen, die
weder ihren eigenen Platz noch Zugang zu einem Country
Club haben. Ihr Anblick weckt in Owen eine Erinnerung,
die nach langer Unterdrückung wieder an die Oberfläche
kam: Als er neun oder zehn war, zog seine Mutter,
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