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Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)

Titel: Land der Schatten: Schicksalsrad (German Edition)
Autoren: Ilona Andrews
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Schwindler keine Bedeutung.
    Der Weg gabelte sich. Die Hauptstraße führte rechts weiter, den Hügel hinauf zur Trabantenstadt, während die Nebenstraße links unter ein dichtes Laubdach abzweigte. Audrey sah in den Rückspiegel. Das Asphaltband hinter ihr verlor sich in der Ferne. Die Küste lag vor ihr.
    Sie bog geschmeidig ab und wappnete sich. Die Panik drehte ihr den Magen um, traf sie direkt ins Sonnengeflecht. Audrey schnappte nach Luft. Die Welt drehte sich um sie, und sie ließ einen Augenblick lang das Lenkrad los, um ihr Fahrzeug nicht von der Straße abzubringen. Dann kam der Schmerz, stechend, folterte jeden Millimeter ihrer Körperoberfläche mit rot glühenden Nadeln. Obwohl Audrey damit gerechnet hatte, erwischte er sie auf dem falschen Fuß. Ein Druck lastete auf ihr, dann, als wäre nichts gewesen, waren sämtliche Beschwerden verschwunden. Sie hatte die Grenze überschritten.
    Von der Brust bis in die Fingerspitzen breitete sich wohlige Wärme in ihr aus. Sie lächelte und schnippte mit den Fingern. Prickelnd, warm, wirbelten leuchtend grüne Ranken um ihre Hand. Auch als Blitz bekannt. Sie ließ sie sterben und fuhr weiter.
    Auf der Hauptstraße, in Olympia, im Staat Washington, gab es keine Magie mehr. Dennoch versuchten die Bewohner so zu tun als ob. Sie flirteten mit der Vorstellung von Parapsychologen und Zauberern, waren der Wahrheit aber nie über den Weg gelaufen. Die meisten würden die Nebenstraße, über die sie gekommen war, nicht mal wahrnehmen. Für sie existierte sie einfach nicht – in ihren Augen ging der Wald einfach weiter. Jedes Mal, wenn Audrey die Grenze zu ihrer Welt überquerte, wurde sie unter Schmerzen ihrer Zauberkraft beraubt. Deshalb nannten Menschen wie sie diesen Ort Broken – wenn man dort hinging, gab man einen Teil seiner selbst auf und kam sich danach unvollständig vor. Wie die uhrwerklose Hülle einer Uhr.
    In der Ferne, hinter Bergen und Meilen unwegsamen Geländes, wartete eine weitere Welt, ein Spiegel des Broken, voller Magie, aber mit sehr wenig Technik. Na ja, ganz stimmte das nicht, dachte Audrey. Es gab jede Menge komplizierter Technik im Weird, allerdings hatte sie sich in eine andere Richtung entwickelt. Das meiste funktionierte nur mithilfe von Magie. Im Weird bestimmten Zauberkraft und die Farbe des Blitzes über den Lebensweg. Je hellere Blitze man werfen konnte, desto besser stand man da. Wenn man weiße Blitze hinbekam, kam man sogar mit Blaublütigen, den adligen Familien des Weird, in Berührung.
    Genau wie das Broken war das Weird ein Ort, in dem Recht und Gesetz herrschten. Deshalb lebte Audrey lieber hier, im Niemandsland zwischen den beiden Dimensionen. Die Einheimischen nannten ihre Zwischenwelt Edge und hatten recht damit. Sie lag am Rand beider Welten, ein Land ohne Staaten und Polizei, in dem Ausgestoßene wie sie strandeten. Das Edge, das die Dimensionen miteinander verknüpfte wie ein geheimer Grenzübergang, nahm jeden auf. Schwindler, Diebe, hirnrissige Separatisten, dünkelhafte Familienclans, alle waren willkommen, alle waren bettelarm und alle blieben unter sich. Die Bewohner gewährten kein Pardon und erwarteten von niemandem Mitleid.
    Die Straße wich einem Feldweg. Auch die Bäume waren anders. Uralte Fichten spreizten dicke Äste aus gewaltigen kannelierten Stämmen, von den Zweigen hingen lange smaragdgrüne, verfilzte Moosbärte. Schlanker, hoher Schierling ragte himmelhoch, die Wurzeln staken in Farnpolstern. In den schmalen Lücken zwischen den Stämmen hing blauer Dunst und barg fremdartige, Beute jagende Wesen mit glühenden Augen.
    Als Audrey vorbeifuhr, spürten die leuchtend gelben Schlüsselblumen des Edge die Vibrationen des Wagens, öffneten sich und entließen Wolken leuchtend blasser Pollen. Bei Tag blieben die Blumen geschlossen und harmlos. Nachts war das anders; wenn man ein paar dieser Wolken ins Gesicht bekam, vergaß man ziemlich schnell, wo man war und warum. Erst vor wenigen Wochen hatte sich Rook, einer der hiesigen Edger-Idioten, einen angetrunken und war neben einem Beet Blumen eingeschlafen. Zwei Tage später hatte man ihn gefunden, splitternackt an einen Baumstumpf gelehnt und von Ameisen bedeckt. In einem alten, von Magie genährten Wald, der, ob fröhlich oder nicht, keine Narren duldete.
    Audrey lenkte den Honda über den schmalen Fahrweg, zwang den Wagen immer weiter den Berg hinauf. Vor ihr versperrte dräuend ein Schatten den Weg. Sie schaltete die Scheinwerfer ein. Eine alte Kiefer war
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