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Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten

Titel: Land der Schatten - Andrews, I: Land der Schatten
Autoren: Ilona Andrews
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Todesstreifen. Fünfzig Meter waren eine ganz schöne Strecke, wenn mit Gewehren und Armbrüsten auf einen gezielt wurde.
    Das unterste Stockwerk hatte weder Tür noch Fenster. Der einzige Weg ins Innere führte über eine Treppe zur Veranda des ersten Stocks. Als Cerise auf die Stufen zuhielt, huschte eine kleine Gestalt hinter den Verandapfeilern hervor und setzte sich auf die Stufen. Sophie. Lark, korrigierte sich Cerise. Ihre Schwester wollte neuerdings Lark genannt werden.
    Lark blickte sie unter dunklem, zerzaustem Haar müde an. Wie Streichhölzer ragten ihre dürren Beine aus ihrer Caprihose. Ihre Waden waren mit Matsch beschmiert. Frische Kratzer über alten Blutergüssen zierten ihre Arme. Ihre Hände verbarg sie, aber Cerise hätte gewettet, dass ihre Fingernägel dreckig oder abgekaut waren, wahrscheinlich beides. Früher war Lark mal ein ziemlich niedlicher Fratz gewesen, soweit das bei einem elfjährigen Mädchen aus dem Sumpf überhaupt ging. Aber das war vorbei.
    Sorge drückte Cerise. Ihr Gesicht verriet nichts. Bloß nichts anmerken lassen. Sie nur nicht verlegen machen.
    Sie stieg die Treppe hinauf, setzte sich neben Lark, zog sich den linken Stiefel aus und schüttete das Wasser aus.
    »Adrian und Derril sind mit dem Dune Buggy in den Snake Tracks«, murmelte Lark.
    Der Dune Buggy war ein höllisches Spaßgefährt. Cerise hatte sich auch schon heimlich damit aufgemacht und so lange ausgetobt, bis er ihr umkippte. Aber den Dune Buggy ohne Begleitung Erwachsener anzufassen war streng verboten. Ihn einfach zu nehmen und teures Benzin zu vergeuden wurde mit drei Wochen Hausarrest bestraft.
    Der fünfzehnjährige Adrian und sein vierzehn Jahre alter Sidekick Derril wussten das natürlich und würden sich den Konsequenzen anstandslos stellen. Viel besorgniserregender war, dass Lark sie verpetzt hatte. Und Lark petzte sonst nie.
    Cerise zwang sich, erst mal langsam den anderen Stiefel abzustreifen. Die Persönlichkeit ihrer Schwester veränderte sich offenbar grundlegend, und sie konnte nur ohnmächtig zusehen.
    »Haben die Jungs dich nicht mitgenommen?«
    Die Antwort kam so leise, dass sie sie kaum mitbekam. »Nein.«
    Vor sechs Monaten hätten sie das noch getan. Das wussten sie beide. Cerise verspürte den Drang, ihren Arm um Larks knochige Schultern zu legen, blieb aber reglos sitzen. Sie hatte das schon mal versucht. Ihre Schwester würde sich bloß versteifen, sich ihr entziehen und in den Wäldern verschwinden.
    Wenigstens redete Lark mit ihr, was äußerst selten vorkam. Normalerweise drang nur ihre Mutter zu ihr durch, und selbst die holte die Kleine in letzter Zeit nur mit Mühe aus ihrer Versunkenheit. Sie entglitt ihnen in ihre eigene Welt, und keiner wusste, wie man sie da wieder rausbekam.
    »Hast du Mom davon erzählt?«, erkundigte sich Cerise.
    »Mom ist nicht da.«
    Komisch. »Und Dad?«
    »Sie sind weg. Zusammen.«
    »Haben sie gesagt, wann sie zurückkommen?«
    »Nein.«
    Cerise straffte sich. Im Sumpfland gab es kaum Ressourcen und viele Menschen. Die Familien kämpften mit Klauen und Zähnen um jede Kleinigkeit. Fast alle Clans lagen in Fehde, und ihrer bildete da keine Ausnahme.
    Die Fehde zwischen den Mars und den Sheeriles hatte vor achtzig Jahren begonnen und ging unvermindert weiter. Flammte manchmal auf, schwelte zu anderen Zeiten nur, wie momentan, konnte aber jeden Augenblick erneut zu offenem Krieg ausbrechen. Beim letzten größeren Konflikt hatte Cerise zwei Onkel, eine Tante und einen Vetter verloren. Es gab eine eherne Regel: Wer wegging, sagte Bescheid, wo er hinging und wann er zurück sein wollte. Nicht mal ihr Vater, das Familienoberhaupt, wich jemals von dieser Regel ab.
    Furcht erfasste sie. »Wann und warum sind sie weg?«
    »Bei Sonnenaufgang. Weil Cobbler in den Hintern gebissen wurde.«
    Cobbler, ein alter Säufer, vagabundierte durch den Sumpf und verdingte sich für Schwarzgebrannten. Cerise lag nichts an dem Kerl. Wenn er dachte, dass die Eltern nicht hinsahen, verhielt er sich den Kindern gegenüber gemein und fiel jedermann aus schierer Bosheit in den Rücken. »Weiter …«
    »Er kam her und sagte Dad, in Großvaters Haus wären wilde Hunde. Sie hätten ihn gejagt, und einer hätte ihn in den Hintern gebissen. Seine Hose war zerrissen.«
    Sene Manor war mit Brettern vernagelt, seit ihr Großvater dort vor zwölf Jahren am Roten Fieber gestorben war. In ihrer Erinnerung sah Cerise ein sonniges, in leuchtendem Gelb gestrichenes Haus, einen Farbfleck im
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