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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung
Autoren: Henry Miller
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am Lycee Carnot in Dijon pion war, und an seinen Besuch in Paris mit zwei kostbaren Flaschen Beaune unter dem Arm. «Was für ein furchtbares Französisch wird hier in Paris gesprochen!» war das erste, was er ausrief. Zusammen erforschten wir Paris; von den Abattoirs de la Villette bis Montrouge, von Bagnolet bis zum Bois de Boulogne. Wie wunderbar, Paris durch die Augen eines Franzosen zu sehen, der es zum erstenmal erlebt! Wie kurios, ein Amerikaner zu sein, der einem Franzosen seine eigene Metropole zeigt! Renaud gehörte zu den Franzosen, die gerne singen. Auch liebte er die deutsche Sprache, was bei einem Franzosen noch seltener ist. Doch am liebsten war ihm seine eigene Sprache, und er sprach sie vollendet. Um die Art dieser Vollendung zu würdigen, mußte ich warten, bis ich hörte, wie er sich mit Jeanne von Poitou und dann mit Mademoiselle Claude aus der Tou-raine unterhielt. Schließlich mit Nys aus den Pyrenäen. Nys aus Gavarnie.
    Gavarnie! Wer bekommt je Gavarnie zu sehen? Perpignan ja, Chamonix auch. Aber le cirque de Gavarnie ? Frankreich ist klein, aber voll von Wundern. In Montpellier träumt man von Le Puy; in Domme von Rouen; in Arcachon von Amiens; in Troyes von Amboise; in Beaucaire von Quimper; in den Ardennen von der Vendee; in den Vogesen von der Vaucluse, in der Lorraine von der Morbihan. Man fiebert danach, von Ort zu Ort zu ziehen, alles ist miteinander verbunden, erfüllt vom Duft der Vergangenheit und lebendig vor Zukunft. Man zögert, einen Zug zu besteigen, weil man Angst hat, beim Dahindösen ein verzauberndes Fleckchen Land zu verpassen, das zu sehen man nie wieder die Möglichkeit haben wird. Sogar die langweiligen Orte sind aufregend. Grüßt nicht überall ein Amèr-Picon oder ein Cinzano oder ein Rhum d'Inca? Wo immer man die Buchstaben des französischen Alphabets sieht, gibt es gutes Essen, gute Getränke und Gespräche. Sogar wo es unfreundlich, düster, abweisend aussieht, ist es möglich, daß man jemanden trifft, der die Szene durch ein Gespräch lebendig macht. Es muß nicht der kultiviert aussehende Herr mit dem Spazierstock sein, vielleicht ist es der Metzger oder die femme de chambre . Halte dich immer an die kleinen Leute, an die quelconques . Die kleinen Blumen geben die anmutigsten Sträuße. Die kostbaren Dinge in Frankreich sind meist kleine Dinge. Bemerkenswert ist, was mignon ist. Die Kathedralen, die Schlösser sind großartig; sie fordern Kniefall, Verehrung. Aber der echte Franzose liebt, was er in seinen beiden Händen halten, was er zu Fuß erreichen, mit einem einzigen Blick erfassen kann. Man braucht sich nicht den Hals zu verrenken, um die Wunder Frankreichs zu sehen.
    Ich sprach von Monsieur Renauds herrlichem Französisch. Genau wie man das Bukett von gewissen erlesenen Weinen nur in der richtigen Umgebung genießen kann, so bedarf es, um die Schönheit der französischen Sprache voll auszukosten, einer Atmosphäre, die nur die jeune fille der Provinzen zu schaffen versteht. In jedem Land ist es die schöne Frau, die die Illusion schafft, sie spreche die Sprache am besten. In Frankreich gibt es gewisse Gegenden, wo die gesprochene Sprache ein Höchstmaß an Schönheit und Zauber erreicht. Claude war eine Prostituierte, ebenso Nys, aber sie sprachen wie Engel. Sie bedienten sich der klaren, silbrigen Sprechweise jener Männer, die die französische Sprache geformt und sie unsterblich gemacht haben. Bei Claude gab es Bemerkungen, so rein wie die Bilder, die in den Wassern der Loire fließen.
    Wenn mir die Erinnerung an gewisse femmes de joie , wie sie mit Recht genannt werden, teuer ist, so darum, weil ich an ihren Brüsten wieder jene kräftigen Züge einer Muttermilch trank, in der Sprache, Landschaft und Mythos sich mischen. Sie waren alle so sanft, duldsam und weise, bedienten sich der Sprache von Königinnen und verfügten über den beruhigenden Zauber von Huris. In ihren Bewegungen, ebenso wie in ihrer Sprache, war Reinheit; so wenigstens schien es mir. Ich war auf die feine Anmut, die sie zeigten, nicht gefaßt, da ich nur das rohe, unbeholfene, übertrieben selbstsichere Gehabe der amerikanischen Frau kannte. Für mich waren sie die kleinen Königinnen Frankreichs, die nicht anerkannten Töchter der Republik, die als Entgelt für Schimpf und Demütigung Licht und Freude verbreiteten. Was wäre Frankreich ohne diese selbsternannten Botschafterinnen des Wohlwollens? Wenn sie mit Ausländern oder sogar mit dem Feind fraternisieren, sind sie deshalb
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