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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung
Autoren: Henry Miller
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falsche Wendung genommen. «Ich habe dich am Scheideweg getroffen», sagt er.
    Diese Begegnung, die der Autor in London stattfinden läßt, entspricht der Episode in der Villa Seurat. Iris Day ist fraglos die Frau, die an jenem Weihnachtstag eintraf. Nun denn, obwohl ich ‹Le Renégat› gleich nach seinem Erscheinen (1943) gelesen hatte, hatte ich doch vollkommen vergessen, daß Fred von alldem in seinem Buch spricht. Erst vor wenigen Augenblicken fragte ich mich plötzlich, ob mein guter Freund Fred nicht selbst von alldem irgendwo gesprochen habe. Was mich noch mehr erstaunt, nachdem ich die letzten Seiten des Buches gelesen habe, ist, zu sehen, wie er selbst seine neue Haltung gegenüber dem Krieg erklärt. Ich glaube, daß es wichtig ist, noch einige Auszüge aus dem Gespräch anzuführen, das an das vorangegangene anschließt. Ich zitiere natürlich nur die wichtigen Stellen...
    «Ist der Krieg falsch?» fragte ich.
    «Nicht falsch, kindisch ...» Nach einigen Bemerkungen über die Natur des kommenden (jetzt beendeten) Krieges fügt Iris Day hinzu: «Ich bin glücklich, dich auf der richtigen Seite zu finden. Vom Gesichtspunkt des einzelnen aus kommt es nicht darauf an, ob man, schicksalhaft, auf der richtigen oder falschen Seite steht.»
    «Du kannst richtig handeln, auch wenn dich das Schicksal ins falsche Lager stellt; aber es ist natürlich viel schwieriger; es verlangt größere Kraft und größere Opfer ... Es darf als selbstverständlich gelten, daß die große Mehrheit der Menschen, die einander bekämpfen, überzeugt ist, auf der richtigen Seite zu stehen. Was ihre Kriege so schülerhaft unreif macht, ist ihr Glaube, es sei möglich, durch einen Sieg die Gesetze, Ordnungen, Dogmen oder Ideen, die sie für gerecht halten, durchzusetzen; denn in Wirklichkeit wurde das einzige Gesetz, unter dem die Menschen überhaupt leben können, festgelegt, lange bevor die Erde bewohnt war . . . Ob wir gut oder böse sind - wir müssen nach Recht, Gerechtigkeit und Liebe leben; sonst werden wir auf lange Sicht untergehen. Darum ist es (vom kosmischen Standpunkt aus) unwichtig, welche Seite den Krieg gewinnt, denn am Ende wird doch der, der für Recht, Gerechtigkeit und Liebe einsteht, den Sieg davontragen. Einfach weil das Gesetz es so will.»
    «Ich glaube, was du sagst, ist wahr, Iris; aber es gilt für uns nicht ganz. Ich glaube nicht, daß wir das Recht haben, einfach die Hände in den Schoß zu legen und zuzuschauen, wie das Schicksal seine gewundenen Wege geht: der Mensch muß für das, was er für richtig hält, kämpfen.»
    «Ich freue mich, daß du das sagst... Es ist ganz in der Ordnung, wenn jemand dem Krieg ausweicht, weil er nicht an dessen Gerechtigkeit glaubt. Ich weiß, daß du den Krieg verabscheust; doch ich weiß auch, daß du tief in dir fühlst, daß etwas Großes auf dem Spiel steht - etwas, das die ganze Menschheit betrifft, und ipso facto dich selbst...»
    Nach einigen längeren Ausführungen über die Rolle Englands im Konflikt kommt Iris Day auf den Kernpunkt zurück. Ihre Worte klingen prophetisch.
    «Abgesehen von den Ereignissen, die durch diesen Konflikt Gestalt annehmen und in denen du vielleicht nur eine kleine Rolle zu übernehmen hast, mag dieser Krieg viel zur Formung deiner eigenen Persönlichkeit beitragen. Vielleicht trifft er dich ins Mark. Vielleicht wirkt er sich auf die Grundlagen deiner Natur aus. Du hast bis jetzt noch nicht begonnen, dein eigenes Leben zu leben, und es ist wichtig, daß man sein eigenes Leben lebt . . . Deine bisherige Existenz war nur der Ausdruck von etwas, das im Grunde nicht deinem Wesen entsprach . . . Bevor du nicht entblößt und nackt und ganz am Ende bist, bist du nicht fähig, den Boden freizulegen und dein wirkliches Haus zu bauen... Dieser Krieg, der die Zukunft der Menschheit für manche Jahrhunderte entscheiden mag, bietet dir die einmalige Gelegenheit, für die Vergangenheit zu sühnen. Denn du bist an diesem Krieg beteiligt. Es mag grausam klingen, und es ist wohl auch nicht allein dein Fehler, aber Tatsache bleibt, daß du in dem Maße, in dem du nicht dein eigenes Leben gelebt hast, persönlich für den Krieg verantwortlich bist: die Summe von unzähligen Vergangenheiten wie der deinen hat die Verantwortung für die Katastrophe zu tragen. Es nützt nichts, anzuführen, daß du nie jemanden gehaßt hast, daß du dich immer von direkten Handlungen fern gehalten hast, die zur Unvermeidbarkeit des Krieges geführt haben. Das war nicht genug.
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