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Land der Erinnerung

Land der Erinnerung

Titel: Land der Erinnerung
Autoren: Henry Miller
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Dein großer Fehler, den du mit den weitaus meisten Menschen teilst, bestand darin, ein falsches Leben zu führen. Diesen Fehler wiedergutzumachen, hast du jetzt die Gelegenheit. Ich weiß, daß du sie ergreifen wirst.»
    Das also ist die Rechtfertigung dafür, an einem Massenmorden teilzunehmen? fragst du. Indem sich dein guter Freund Fred einfach auf die ‹richtige› Seite schlägt, macht er ein vertanes Leben wett? Im Namen von Frieden und Gerechtigkeit geht er morden, genau wie irgendein anderes irregeleitetes Individuum - so ist das also? Ich kenne all die Fragen, die ihr bereithaltet, um sie mir entgegenzuschleudern. Obendrein werdet ihr mir sagen: «Was für ein Unsinn! Was für ein Selbstbetrug! Was für ein ausgemachter Quatsch! Wir hätten die ‹Bhagawadgita› aufschlagen können und hätten es beredter und überzeugender ausgedrückt gefunden.»
    Wir wollen für einen Augenblick vergessen, wie er seine Beweggründe rechtfertigte. Wir wollen uns für einen Augenblick auf das konzentrieren, was ihm während der großen Katastrophe zustieß. Wie kam es, daß er nicht nur verschont blieb, daß er nicht nur moralisch und geistig an Format gewann, sondern daß er auch nie gezwungen war, einen Schuß abzufeuern; daß er überdies, statt seine Mitmenschen umzubringen, in der Lage war, mehrere vom Tode zu erretten? Hätte er nicht direkt und offen teilgenommen, in welcher Art hätte er es dann getan? Denn beteiligt sind wir nun einmal alle, ob wir es wollen oder nicht? Hat er an einem Morden teilgenommen, oder nahm er an einer Sache teil, die tiefer gründet als der Krieg selbst? Ich glaube das zweite. Ich weiß, daß er, wie wir sagen, nichts für seine Person zu gewinnen hatte, indem er der britischen Armee beitrat. Aber als Mensch hatte er alles zu gewinnen, indem er sich mit dem Zustand der Welt identifizierte. Er verzichtete auf die falsche Sicherheit oder Immunität, die er als einer, der en marge lebte, genoß. Er hörte auf, der ‹Renegat› zu sein, um stattdessen er selbst zu sein. Er führte nicht gegen seine Mitmenschen Krieg, denn er hatte sie nie gehaßt, sondern gegen das, was er als die Kräfte des Bösen betrachtete. Böse hieß in diesem Fall - und ist das nicht die wirkliche Bedeutung des Bösen? - all das, was einen davon abhält, sein eigenes, wirkliches Leben zu leben. Er war bereit, das Gebot: «Du sollst nicht töten» zu verletzen, hinter dem er aus Feigheit Zuflucht gesucht hatte (töte mich nicht, und ich töte dich auch nicht!), weil etwas Größeres als Gesetzestreue auf dem Spiel zu stehen schien. In Wirklichkeit - ich möchte das noch einmal betonen - ergab es sich so, daß er nie in die Lage kam, das Gesetz brechen zu müssen. Gegenüber all jenen, die einwerfen, daß dies bloßer Zufall sei oder daß er durch seinen Dienst in der Armee anderen geholfen habe, zu töten, erlaube ich mir, anderer Meinung zu sein. In gar keiner Weise förderten seine Dienste das Morden. Oder wenn sie es taten, half auch der Lebensmittelhändler, der die diensttauglichen Bürger seines Landes mit Nahrung belieferte, bei diesem allgemeinen Morden mit. Wenn es Zufall war, daß er niemand getötet hat - durch welchen Zufall wurde er dann, statt in die Schützengräben, zu den Pionieren geschickt? Viele seiner Kameraden wünschten sich nichts mehr, als hinüberzuwechseln und aktiv in den Kampf einzugreifen; einigen von ihnen wurde der Wunsch erfüllt, und sie fielen. Fred nahm freudig die schmutzige Arbeit auf sich, die darin bestand, daß man bei Gelegenheit in brennende Häuser stürzte und hilflose Männer, Frauen und Kinder rettete. Einige seiner Kameraden fanden so den Tod. Keine der Todesängste, die mit einem Heldentod auf dem Schlachtfeld verbunden sind, blieb ihnen erspart. Freds Leben stand, wie ich schon früher sagte, unter einem Zaubersegen. Er wurde, wie wir es manchmal nennen, «bewahrt». Nicht vor etwas - da er keinen Schutz verlangte -, sondern für etwas. Er kehrte aus dem Krieg mit einer gesunden, kräftigen, frohen Lebensauffassung nach Hause zurück. Er wäre in dem gleichen jubilierenden Geiste heimgekehrt, wenn er ein paar Menschen getötet hätte. Übrigens würde er sich nie für schuldlos an jenen Toten gehalten haben: er hätte sich für voll verantwortlich gehalten - vor Gott. Er hätte am Tage des Gerichts mit ein wenig vom alten culot factice gesagt: «Ich tat es für dich, o Gott. Ich handelte dem Licht gemäß, das in mir war.»
    Hier stoßen wir auf den Widerspruch, der
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