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LaNague 05 - Der Tery

LaNague 05 - Der Tery

Titel: LaNague 05 - Der Tery
Autoren: F. Paul Wilson
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Mutter war eine von diesen Terys. Sie entzückte die Besucher durch ihren Gesang, erzählte die alten Sagen und trug die vielen Gedichte vor, die sie auswendig gelernt hatte. Aber sie bekam es allmählich satt ein gehätscheltes Schoßtier zu sein und floh in die Wälder, als sie zu einer jungen Frau herangewachsen war.
    Dort traf sie ihren Gefährten, der überhaupt nicht sprechen konnte, und der es auch niemals lernen sollte, sich geläufig auszudrücken, denn obwohl er über die nötige Intelligenz verfügte, hatte er doch zuviel Zeit ohne Sprache zugebracht. Es gelang ihm, sich auf andere Weise verständlich zu machen, und bald wurde ihnen ein Kind geboren.
    Die Mutter brachte dem kleinen Tery das Sprechen bei und erzählte ihm von ihrer Abstammung und wie die Große Krankheit Mutationen bei vielen Lebensarten der Welt bewirkt hatte. Seine Fähigkeit zu denken war eine dieser Wandlungen. All dies hatte sie während ihres Aufenthaltes in der Burg gelernt, und der Junge nahm begierig auf, was sie ihm weitergab. Er war klug, wissensdurstig und eifrig und lernte schnell sprechen, wenn seine Stimme auch einen rauhen, mißtönenden Klang hatte.
    Jetzt aber schwieg er, als er auf den Hügel über der Höhle kletterte und Stein auf Stein herausbrach, bis die Öffnung zu seinem ehemaligen Vaterhaus durch einen kleinen Erdrutsch verschlossen war. Als der Staub sich gelegt hatte und das donnernde Geräusch der hinunterstützenden Erdmassen in den Bäumen verklungen war, ließ er sich auf dem Felsen nieder. Sein Blick wanderte über die Lichtung, die seine Heimat gewesen war, solange er sich erinnern konnte.
    Es war nicht einfach für den Tery, seine aufwallenden Gefühle zu begreifen, die so heftig in seiner Brust brodelten, daß es ihm den Atem verschlug, wenn er tief durchzuatmen versuchte. Sein beschauliches Leben hatte ihn auf so etwas nicht vorbereitet, und seine Gefühle waren in hellem Aufruhr.
    Man hatte ihm unrecht getan – seinen Eltern war Unrecht zugefügt worden! Ungerechtigkeit. Dieser Begriff war ihm niemals zuvor begegnet, er hatte nicht einmal ein Wort dafür. Denn in den Wäldern gab es weder Recht noch Unrecht, es gab nur den unaufhörlichen Kampf ums Überleben. Man nahm sich, was man brauchte, den Rest ließ man liegen. So blieben die Dinge irgendwie im Gleichgewicht. Sorglosigkeit hatte oft ein Unglück zur Folge, Wachsamkeit wurde durch Sicherheit belohnt und, häufig, durch einen vollen Bauch.
    Unmerklich tauchten ungebetene Bilder aus seiner Vergangenheit auf, als er so dasaß. Er hatte vermocht, sie im Zaum zu halten, solange er damit beschäftigt gewesen war, die Überreste seiner Eltern zu bestatten, aber jetzt, wo er damit fertig war und das kalte, leere, leblose Fleckchen Erde anstarrte, das einmal Wärme und Sicherheit für ihn bedeutet hatte, da begann er sich zu erinnern, wie sein ungeschlachter Vater ihm das Jagen und das Fischen beigebracht hatte und wie er in der abendlichen Kühle zusammengerollt neben seiner Mutter gelegen hatte.
    Sein Brustkorb fing an, sich unkontrolliert zu heben und zu senken, und ihm entrang sich ein leises, herzzerreißendes Stöhnen voll von unergründlichem Kummer und unausgesprochener Qual. Plötzlich krabbelte er blindlings und in einer solchen Hast den felsigen Abhang hinunter, daß er zweimal beinahe den Halt verloren hätte.
    Auf der Lichtung angelangt, rannte er kreuz und quer von einem Ende zum anderen, schluchzend und winselnd, und hielt voll rasender Wut nach etwas Ausschau, das er zerbrechen, zerstören, vernichten konnte. Als er zu dem Gärtchen kam, packte er eine der groben Hacken, mit denen sein Vater den Boden bearbeitet hatte, und hieb sich seinen Weg durch die Maishalme und das andere Getreide, das dort wuchs. Als er alles niedergemäht hatte, rannte er zurück zum Fuße des Felsens, raffte wahllos jeden Steinbrocken auf, der ihm in die Finger kam, und schleuderte sie mit einer Wildheit, die durch seine flammende Wut geschürt wurde, auf den durch Geröll verschütteten Höhleneingang. Einige prallten von dem Geröllhaufen ab, andere krachten hinein und zersplitterten durch die ungeheure Wucht ihres Aufschlags. Wimmernd und heulend warf er einen Stein nach dem anderen, bis er sich völlig verausgabt hatte und einige seiner Wunden sich wieder öffneten. Dann sackte er zusammen, preßte seine Stirn auf die Erde und schluchzte.
    Nach einer ganzen Weile beruhigte er sich. Er konnte wieder nachdenken.
    Eine neue Idee, für die er noch keinen Namen
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