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Laienspiel

Laienspiel

Titel: Laienspiel
Autoren: Michael Kobr Volker Klüpfel
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der Polizeidirektion abgegeben werden sollte.

Noch 11 Tage, 15 Stunden, 9 Minuten, 12 Sekunden
    Kluftinger lächelte, als er aus dem Fenster sah. Er sog den Duft der taufrischen Wiesen hinter dem Haus ein, der durchs gekippte Fenster ins Schlafzimmer drang. Seine Frau schlief noch. Er schaltete den Wecker aus, der in zwei Minuten Schlagermusik von sich geben würde, streichelte Erika über die Wange und ging beschwingt ins Bad.
    Auch die Zeitung schien ihm heute interessanter als sonst, das Brot ein wenig kerniger, die Butter einen Tick frischer. Aus dem Marmeladetopf schien der Duft seines Erdbeerbeets aufzusteigen, und als er die Kaffeetasse mit Pulverkaffee vom sonnenüberfluteten Küchentisch nahm, kam er sich vor wie in der Margarinereklame. Was hatte er nur für ein Leben!
    Vom ersten Stock hörte er Geräusche, dann polterte Markus die Treppe herunter. Es war wie früher, als sein Sohn noch in der Schule gewesen war.
    »Morgen, Vatter!«, sagte er gähnend und rieb sich die verschlafenen Augen. Er trug nur ein T-Shirt und Boxershorts.
    Kluftinger blickte zur Küchenuhr, einer umgebauten Delfter Kachel, die sie von einem der wenigen Urlaube, die nicht nach Südtirol oder an den Gardasee gegangen waren, mitgebracht hatten. Es war bereits zehn vor sieben, und Kluftinger war schleierhaft, wie Markus, der gerade ein Praktikum bei der Kemptener Polizei ableistete – schließlich wollte er nach seinem Psychologiestudium als Profiler arbeiten –, den Dienstbeginn um sieben Uhr dreißig schaffen wollte.
    »Sag mal, Markus, dir ist schon klar, dass ich in zehn Minuten fahr, oder? Mir ist das ja egal, ob du erst um halb zwei nachts heimkommst. Bist alt genug. Aber ich sag dir eins, wenn mir zu Ohren kommt, dass du da schon in der ersten Woche zu spät kommst, dann fang ich auf meine alten Tage noch an, dich zu erziehen!« Kluftingers anfängliche Verärgerung war während seines letzten Satzes einem Lächeln gewichen. »Komm jetzt, das schaffst du schon noch!«
    Mit einem »Hm?«, das signalisierte, dass Markus seinem Vater überhaupt nicht zugehört hatte, hob der den Kopf, zog die Augenbrauen hoch und ging zum Wasserkocher, um sich ebenfalls einen Kaffee aufzubrühen.
    »Jetzt zieh dich an, du Phlegma, Herrgottsakrament! Was macht denn das für einen Eindruck? Um halb acht ist Dienstbeginn bei uns!«
    Markus drehte sich grinsend zu seinem Vater um: »Bei euch schon, Vatter! Mich holen die Kollegen um dreiviertel acht hier ab. Die müssen irgendwas im Milchwerk überprüfen, und da haben sie angeboten, vorher vorbeizukommen.«
    Alle Achtung. Markus schien sich ja schon recht gut integriert zu haben. Wenn er da an seine Anfangszeit bei der Polizei dachte: Da war er allenfalls der Brotzeitholer gewesen, der am Abend auch noch die Garage zusammenkehren durfte. Saubere Zeiten waren das heutzutage, wo man Praktikanten herumchauffierte.
    Ein bisschen weniger beschwingt als zuvor verabschiedete sich Kluftinger von seinem Sohn. Als er zur Garderobe ging, um seinen Janker vom Haken zu nehmen, stand Erika im Morgenmantel auf der Treppe.
    »Du, probierst du bitte heute noch die schwarzen Lackschuhe?«, bat sie ihren Mann. »Ich hab sie dir gestern Abend noch geputzt und rausgestellt. Nicht, dass sie dir nicht mehr passen, dann müssen wir noch neue kaufen. Du hast ja sonst keine mit Ledersohle.«
    Kluftinger sah Erika verwirrt an.
    »Ledersohle? Doch, die Haferlschuhe. Die aus der Kapelle.«
    »Also jetzt geh, die kannst du doch dafür nicht anziehen. Was sagen denn da die Annegret und der Martin, wenn du mit denen zur ersten Tanzstunde kommst.«
    Die Wende war schlagartig und ohne jede Vorwarnung gekommen. Ein Wort hatte ausgereicht, um Kluftinger den vielversprechenden Tag zu vergällen. »Tanzkurs«, brummte er vor sich hin, als er den ersten Schnürsenkel seiner »Salontreter« band, wie er sein einziges wirklich edles Paar Schuhe nannte. Seine Frau hatte letztes Jahr den Langhammers einen Tanzkurs zu Weihnachten geschenkt – zu viert! Ohne sein Wissen. Und er hatte sich damals geschworen, dass es niemals dazu kommen würde. Ausgerechnet der Altusrieder Arzt musste mit Erikas bester Freundin verheiratet sein. Annegret ging ja noch. Kluftinger hätte sie wirklich mögen können, wenn sie nicht immer ihren blasierten, besserwisserischen Gatten bei sich gehabt hätte.
    »Passen nicht mehr, viel zu eng, Erika … leider. Und wenn ich mit den Haferlschuhen nicht gehen kann, dann wird’s halt nix mit dem … Tanzkurs.
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