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Lady Lavinias Liebestraum

Lady Lavinias Liebestraum

Titel: Lady Lavinias Liebestraum
Autoren: Mary Nichols
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großen Augen an. “Meinst du nicht, Lord Wincote könnte ebenso denken wie du? Ich meine, könnte nicht auch für ihn der Charakter der jungen Dame wichtiger sein als ihr Vermögen?”
    “Ich kann doch nicht seine Gedanken lesen, Lavinia.”
    “Ebenso wenig kannst du über seine finanzielle Situation Bescheid wissen. Nicht dass es wirklich wichtig wäre für mich – Geld bedeutet mir nicht alles.”
    “Weil es dir niemals daran mangelte.”
    “Ich sagte dir vorhin bereits, dass ich ohnehin nur aus Liebe heirate”, erklärte sie stolz. “Und wenn ich mich für einen armen Gentleman entscheide, dann ist es eben so.”
    “Aber du hast doch nicht etwa vor, dich in Wincote zu verlieben? Er ist deiner nicht würdig”, erwiderte James beharrlich.
    “Das bestimme immer noch ich”, entgegnete sie wütend, und James schalt sich insgeheim, seine Zunge nicht im Zaum gehalten zu haben. Er hätte wissen müssen, dass jedes Argument gegen den jungen Mann sie erst recht dazu bringen würde, ihn in Schutz zu nehmen und ihm nun vielleicht mehr Sympathie zu zollen, als sie es noch vor wenigen Minuten getan hätte.
    Die gute Einsicht kam leider zu spät, und so brachte James seine pikierte Begleiterin nach Stanmore House zurück, ohne dass noch ein einziges Wort zwischen ihnen gefallen wäre.
    Er kletterte vom Kutschbock des Phaeton und eilte zu ihrer Seite hinüber, um ihr beim Absteigen behilflich zu sein. Unvermittelt tat sie einen Sprung von der letzten Stufe der Trittleiter, wobei sie geradewegs in seine Arme fiel. Er fing sie auf und hielt sie länger fest, als es nötig gewesen wäre. Sie so nah bei sich zu spüren erzeugte ihm ein Gefühl größter Erregung, und er sehnte sich danach, diese Empfindung noch ein wenig länger auskosten zu können.
    “Kommst du mit hinein?”, fragte sie und sah zu ihm hoch. Seine grauen Augen hatten einen Ausdruck angenommen, den sie nicht recht zu deuten vermochte. Sie las gleichzeitig Traurigkeit, Zärtlichkeit und auch etwas Schalkhaftes darin; er versuchte ob ihres prüfenden Blicks zu lächeln, doch irgendetwas, das ihn zu bekümmern schien, machte es ihm unmöglich. Am liebsten hätte sie ihn sofort gefragt, was er auf dem Herzen hatte, doch stattdessen fügte sie lediglich hinzu: “Mama wird von ihren Einkäufen zurück sein.”
    Er entließ sie nur ungern aus seiner Umarmung. “Heißt das, du hast mir verziehen?”
    “Natürlich, welch dumme Frage!” Der kurze Moment intimer Vertrautheit war verflogen. “Aber du musst mir dafür etwas versprechen.”
    James hob eine Braue. “Oh, was denn?”
    “Dass du mich wieder mit deinem Phaeton mitnimmst.”
    “Es wird mir ein Vergnügen sein.”
    “Morgen früh um sieben.”
    “Aber Lavinia, ich habe nicht gesagt, dass …”
    “Du sagtest, du würdest darüber nachdenken”, unterbrach sie ihn. “Nun hast du es getan und bist zu dem Schluss gekommen, dass überhaupt nichts dagegen spricht, wenn du mir in einem menschenleeren Park die Zügel überlässt. Du bist sogar zu der Überzeugung gelangt, deiner Stiefschwester noch etwas in Sachen Kutschieren beibringen zu können, natürlich vorausgesetzt, dass du in der Lage bist, so zeitig aufzustehen.”
    “Oh, du kannst Gedanken lesen, habe ich recht?”
    “Natürlich, du bist für mich ein offenes Buch.”
    Davon war James allerdings nicht wirklich überzeugt, denn andernfalls hätte sie die Liebe in seinem Herzen entdeckt, die er für sie empfand und die seit drei Jahren stetig größer wurde. Seine Stiefmutter, mit einem unbeirrbaren sechsten Sinn und guter Beobachtungsgabe beschenkt, hatte ihm beizeiten zu bedenken gegeben, dass Lavinia noch zu jung für eine Vermählung sei. Und da er damals noch nicht die Reife eines verantwortungsvollen jungen Mannes besessen hatte, hätte der Duke of Loscoe ihn ohnehin niemals als seinen Schwiegersohn akzeptiert.
    Seinen Weg ins Leben zu finden hatte sich für James als unkompliziert herausgestellt, seine jugendlichen Laster waren harmloser Natur gewesen und hatten dazu beigetragen, dass er schneller erwachsen wurde. Lavinias Sicht auf ihn zu verändern hatte sich hingegen als ein überaus schwieriges Unterfangen herausgestellt. Wie ein schwer zu erhaschender Schmetterling umschwirrte sie ihn, wollte einerseits bewundert werden von ihm, lachte viel, teilte ihre Geheimnisse mit ihm und erwartete nebenbei, dass er ihr aus einer misslichen Lage half, in die sie sich meist selbst gebracht hatte. Andererseits entschwand sie seinem
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