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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel
Autoren: Lukianenko Sergej
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Es besaß exzellente Farbdisplays, Top-Kopfhörer samt eingebautem Mikro und einen Ventilator, der mir Luft in der adäquaten Temperatur ins Gesicht pustete. Gerade in der Hitze der Wüste. Ich nahm den Helm ab, legte ihn auf den Tisch, neben die Tastatur. Auf dem Bildschirm erschien das vertraute Frauengesicht. »Willst du die Verbindung trennen, Ljonja?«, erklang es aus den Kopfhörern.
    »Nein, warte!«
    In der realen Welt sah mein Zimmer genauso aus wie im virtuellen Raum. Nur dass draußen kein Sommerabend
in Deeptown war, sondern ein verregneter Herbstabend in St. Petersburg. Der feine Regen brachte Kälte mit, in der Ferne hupte ein Auto. Ich öffnete den Kühlschrank und nahm mir eine Dose Sprite. Diesmal würde ich in der realen Welt trinken! Ich machte mir den Spaß und schaute vom Balkon auf die Straße. Die leere Dose, die ich im virtuellen Raum hinuntergeworfen hatte, gab es natürlich nicht. Dann wollen wir die Unterschiede mal beseitigen!
    Meine Haare waren nass, ich rubbelte sie mit einem Hemd, das überm Stuhl lag, trocken, setzte mich an den Rechner, überprüfte die Kabel, die von meinem Sensoranzug zur Deep-Platine führten. Alles bestens, auch wenn meine Bewegungen leicht verlangsamt waren, als liefe ich durch Sand. Mein linkes Bein musste ich stärker nachziehen, weil die Feinabstimmung mal wieder zu wünschen übrigließ. Egal, darum würde ich mich später kümmern!
    Als ich mir den Helm wieder aufsetzte, kam es mir vor, als würde ich den Kopf in einen Backofen stecken. Diese Schweine aus Al Kabar! Verschanzten sich hinter den miserabelsten Bedingungen!
    Nun hatte ich wieder die virtuelle Welt vor Augen, die aber noch genauso unrealistisch wirkte wie ein billiger Trickfilm. Eine körnige Darstellung, eine schöne, aber grobe Grafik eben. Mehr brachte der Rechner nicht.
    Aber das verlangte auch niemand von ihm. Die Tiefe ohne den Menschen – wo kämen wir denn da hin?
    Ich blinzelte und entspannte mich, versuchte aus eigener Kraft in den virtuellen Raum einzudringen. Natürlich
klappte das nicht. Statt in der Wüste hockte ich immer noch zu Hause, vor meiner Kiste … Mir blieb nichts anderes übrig, als den Arm auszustrecken und den Befehl einzugeben.
    Deep.
    Enter.
    Prompt explodiert in der Wüste die Farbenpracht des Deep-Programms. Eine Sekunde lang sehe ich noch die winzigen Displays, spüre ich das weiche Polster des Helms, dann driftet mein Bewusstsein ab. Mein Hirn will Widerstand leisten – aber es ist zu schwach. Die Deep-Software wirkt auf alles.
    Allerdings gibt es Menschen – und zwar einen von dreihunderttausend  –, die die Beziehung zur Realität nicht vollständig verlieren. Die selbstständig aus der Tiefe auftauchen können. Die Diver.
    Mich zum Beispiel.
    Der Wolf grinst mich an.
    »Hast du dir die Kehle befeuchtet, Recke?«
    »Ja.«
    Ich überzeuge mich rasch, dass alles in Ordnung ist. Im virtuellen Raum ist mein Körper eine simple Zeichnung, die vom Rechner an jeden x-beliebigen Punkt in Deeptown oder seiner Umgebung übertragen wird. Aber das Schwert an meinem Gürtel und die Sachen in meiner Tasche, das sind nicht einfach nur Zeichnungen. Es sind Icons, mit denen ich weitere Anwendungen starten kann. Und ohne die wäre ich jetzt aufgeschmissen.
    »Also, pass auf«, sage ich. »Ich geh allein über die Brücke, schnappe mir die Trophäen, und dann hauen wir ab.«

    »Wie du meinst«, erwidert der Wolf.
    Ich gehe über den Sand, der heiße Wind gibt immer noch keine Ruhe, ja, ich meine sogar, die Sandkörner würden mir in den Augen pieksen. Dieser Eindruck ist bereits nicht mehr dem Helm zu verdanken. Das ist mein Hirn, das wahrnimmt, was es in einer echten Wüste wahrnehmen müsste.
    Die Statue kommt immer näher, wirkt immer realer. Der gehörnte Kopf mit den gefletschten Zähnen, die Pfoten mit den steinernen Muskelbergen. Ein Ifrit, nehme ich an. In der arabischen Mythologie kenne ich mich nicht sonderlich gut aus. In der linken Hand hält er den dünnen Faden.
    Eine Brücke aus einem Pferdehaar.
    Ich mache mich daran, den Fuß des Monsters hochzukraxeln. Wie dämlich mein Körper jetzt in der leeren Wohnung aussehen muss, wenn er Klimmzüge in der Luft macht! Aber ich sollte besser bei der Sache bleiben!
    Der letzte Meter ist der schwerste. Ich stemme mich an dem stacheligen Steinknie ab und versuche, die Hand zu erreichen, aber Fehlanzeige. Ich nehme an, für die legalen Besucher von Al Kabar ist ein anderer Weg vorgesehen.
    Jedenfalls muss ich erst mal
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