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Labyrinth der Spiegel

Labyrinth der Spiegel

Titel: Labyrinth der Spiegel
Autoren: Lukianenko Sergej
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den Granitphallus dieses Monstrums erklimmen. Ich höre den Wolf kichern. Der Mistkerl. Der hat gut lachen.
    Endlich stehe ich auf dem Handteller. Ich teste den Faden mit dem Fuß aus, er schwankt leicht. Wie eine Saite. Unten, weit, weit unter mir, sind Felsen und die blaue Schlange eines Flusses zu erkennen.
    »Nur Mut, mein Held!«, feuert mich der Wolf an.

    Normale VR-Besucher können nicht über diese Brücke gehen, irgendwas stimmt mit dem Ding nämlich nicht.
    Mit einem Mal bewegt sich die Hand, auf der ich stehe, und ballt sich langsam zur Faust. Die Haarbrücke zittert und droht zu reißen. Über mir lauert die Fratze mit den gebleckten Zähnen des zum Leben erwachten Monsters.
    »Wer bist du?«, brüllt der Kerl so laut, dass ich fast taub werde. Übrigens brüllt er auf Russisch!
    »Ein Gast!«, schreie ich und setze alles daran, meine Beine aus der Umklammerung der Granitfinger zu befreien.
    »Ein Gast bringt keine verbotenen Dinge mit«, lacht das Monster.
    Der Zeigefinger der rechten Hand schießt auf mich zu, als wolle er mich zerquetschen. Ob ich will oder nicht, ich kneife die Augen zusammen. Aber das Monster zeigt nur auf das Schwert.
    O nein, hier habe ich es nicht mit einem schlichten und wehrlosen Programm zu tun, wie es hinter dem Fahrer vom Deep-Explorer gesteckt hat. Hier habe ich es mit einer hervorragenden, pseudointelligenten Sicherheitssoftware zu tun, die Windows Home weit überlegen ist. Wie hätte es sonst meine Muttersprache rausgekriegt?
    »Ein Gast kommt nicht ungebeten.«
    »Aber man hat mich hergebeten!«
    »Wer?«
    Jetzt muss ich alles auf eine Karte setzen.
    »Du hast nicht das Recht, mich nach seinem Namen zu fragen.«

    »Ich habe jedes Recht«, teilt mir das Monster mit.
    Und damit schließt sich die Faust.
    Eigentlich müsste ich jetzt, nach diesem »tödlichen Angriff«, in die Realität zurückkatapultiert werden. Sonst könnte mein Hirn nämlich einen echten Schmerzschock imaginieren, mit allen Folgen.
    Genau deshalb blockiert auch nur ein Selbstmörder die Sicherheitsvorrichtung des Deep-Programms.
    Oder ein Diver.
    Mein zermatschter Körper liegt auf der Hand des Monsters. Mein Schädel ist platt wie eine Flunder, ein Auge starrt in den staubigen, heißen Himmel, das andere auf den steinernen Fußnagel. Der Ifrit bricht in schallendes, hochzufriedenes Gelächter aus. »Du, der du in Gestalt eines Wolfs gekommen bist!«, schreit er. »Präge dir das Schicksal deines Freundes ein!«
    So hat er also meine Muttersprache herausgekriegt! Er hat unser Gespräch belauscht. Allerdings reicht sein »Verstand« nicht aus, um zu begreifen, mit wem er es zu tun hat …
    Das Monster versteinert wieder. Ich warte noch eine Sekunde, dann stehe ich auf. Mein Körper setzt sich langsam wieder zusammen. Ein normaler User käme jetzt in der Realität zu sich, vor einem vorwurfsvoll summenden Rechner.
    Ob die Sicherheitssoftware von Al Kabar überhaupt etwas von Divern weiß?
    Das Monster rührt sich nicht. Klar, ich bin ja tot, und zwar schon eine ganze Weile. Vorsichtig trete ich auf die Haarbrücke.

    »Wer bist du?«
    Schon wieder …! Anscheinend reagiert er ausschließlich auf die Berührung der Brücke. Das zu wissen macht die Sache jedoch nicht leichter.
    »Einer, der nicht in deiner Macht ist«, antworte ich.
    »In wessen dann?«
    Mal was Neues.
    »In der Allahs«, sage ich auf gut Glück.
    Diesmal schlägt das Monster mit der freien Hand zu, so dass ich halb über den Rand seines Handtellers schlittere. »Es steht dir nicht zu, den Namen des Allmächtigen im Mund zu führen, Dieb«, belehrt er mich.
    Der Wolf wälzt sich lachend im Sand. Das nehme ich mit meinem unverletzten Auge immerhin noch wahr.
    Ach ja, der Humor von Entwicklern ist nun mal eher amerikanisch als arabisch geprägt. Während ich auf der Hand liege, denke ich nach. Irgendwann stehe ich wieder auf. Noch rührt sich das Monstrum nicht.
    »Gibt es einen anderen Weg, Vika?«, frage ich.
    »Auf dieser Seite ist das der einzige Kanal«, teilt mir mein Rechner unverzüglich mit. Die Stimme leiert und hat jede Intonation eingebüßt. Ich muss mir wirklich mehr Speicherplatz zulegen. »Alle anderen Kanäle nach Al Kabar öffnen sich nur auf Befehl von innen.«
    »Können wir mit Gewalt etwas ausrichten?« Ich fasse nach dem Schwertgriff. Das Viren-Programm zur Anwendung vor Ort ist winzig, ich müsste es nicht mal von zu Hause downloaden. Ich bräuchte bloß das Schwert zu ziehen, zuzuschlagen und …
    »Dann würde
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